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JURIDICA INTERNATIONAL. LAW REVIEW. UNIVERSITY OF TARTU (1632)

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On the Role of Consistency of the LegalSystem in a Democratic Republic

XVI/2009
ISBN 978-9985-870-26-6

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Der Streitgegenstand im estnischen Verwaltungsprozess

1. Einführung

Die richtige Bestimmung des Streitgegenstandes ist eine schwierige, aber unvermeidbare Aufgabe in der täglichen Gerichtspraxis sowie in der Verwaltungsprozesslehre. Von ihr hängen viele zentrale verwaltungsprozessuale Fragen, insbesondere die Konturen der gerichtlichen Kontrolle, die materielle Rechtskraft des Urteils, sowie die Feststellung der Rechtshängigkeit, der Klagehäufung und der Klageänderung ab. Der zu lockere Umgang mit dem Streitgegenstand würde wegen des unklaren Prozessstoffes die Rationalität der Streitlösung beeinträchtigen und die Grenzen der Rechtskraft trüben. Die zu strenge und detaillierte Handhabung könnte indes die Klageerhebung unnötig erschweren sowie die Rechtskraft unsachgemäß verkürzen. Dies haben u.a. die zahlreichen Fälle in der estnischen Rechtsprechung gezeigt, in denen der Kläger sein Klageantrag unrichtig formuliert hat bzw. das Gericht den Streitgegenstand falsch festgestellt hat. Das Ziel des folgenden Beitrags ist nicht rein theoretisch über den zutreffenden Streitgegenstandsbegriff zu polemisieren. Er versucht für den estnischen Verwaltungsprozess ein angemessenes Modell des Streitgegenstands zu finden, das den Leitlinien des effektiven Rechtsschutzes und der Rechtssicherheit entspricht.

2. Begriff des Streitgegenstandes

Die estnische Verwaltungsprozessordnung (halduskohtumenetluse seadustik – HKMS) definiert den Streitgegenstand nicht, setzt den Begriff aber im Kontext der Verhinderung der wiederholten Klageerhebung voraus (§ 11 Abs. 31 Nr. 3 und 4; § 23 Abs. 1 Nr. 3 und 4 HKMS). Der Streitgegenstandsbegriff wird auch in der im Verwaltungsgerichtsverfahren subsidiär anwendbaren Zivilprozessordnung (tsiviilkohtumenetluse seadustik – TsMS) nicht ausdrücklich festgelegt. Sie fordert jedoch, dass die Klageschrift einen ausdrücklichen Anspruch (Klagegegenstand) sowie den der Klage zugrunde legenden Sachverhalt (Klagegrund) enthalten muss.  *2 Das formell rechtskräftige Urteil ist für die Beteiligten so weit verbindlich, wie der Klageantrag bezüglich des für die Klage grundlegenden Sachverhalts entschieden ist.  *3 Die Rechtskraft des Urteils betrifft damit neben dem Klageantrag im gewissen Maße auch den Klagegrund. Dementsprechend kann man auch im estnischen Verwaltungsprozess – zuerst als Hypothese – vom in der Bundesrepublik Deutschland herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff ausgehen: der Streitgegenstand ergibt sich demnach aus dem im Klageantrag geltend gemachten (prozessualen) Anspruch und aus dem Klagegrund.  *4

Der Klageantrag (Anspruch) ist näher durch den begehrten Richterspruch, sowie durch die umstrittene behördliche Handlung bzw. das umstrittene Rechtsverhältnis bestimmt (z.B. die Aufhebung eines Steuerbescheids). Unter Klagegrund ist nach § 363 Abs. 1 Nr. 2 TsMS der Tatsachenkomplex (Lebenssachverhalt) zu verstehen, aus dem der Kläger sein Recht auf die Befriedigung seines Anspruchs herleitet.  *5 Der Klagegrund ist nicht mit den vom Kläger vorgebrachten Tatsachen identisch. Auch werden nicht alle vom Gericht inzident geprüften Vorfragen als Elemente des Klagegrunds mit dem rechtskräftigen Urteil verbindlich.  *6 Der Grund einer verwaltungsprozessualen Klage muss viel abstrakter bestimmt werden. Sicher ist zuerst, dass die Bestimmung des Klagegrunds das Programm der Begründetheits- oder zumindest der Zulässigkeitsprüfung der entsprechenden Klageart berücksichtigen muss.  *7 Analog zum § 113 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 VwGO erweist sich dabei in Estland wohl das estnische Staatshaftungsgesetz (riigivastutuse seadus – RVastS)  *8 als maßgeblich. In diesem Rahmen wird zweitens die funktionale und wertende Abwägung notwendig. Besonders unter Berücksichtigung der Gebote der Rechtsicherheit und des effektiven Rechtschutzes sollte man bewerten, welche entscheidungserhebliche Tatsachen für die eventuellen Folgeverfahren verbindlich bleiben müssen und dürfen, sowie welche Kennzeichen eine frühere Streitsache bei der Vermeidung wiederholender Klageerhebungen identifizieren sollen.

3. Der Streitgegenstand einzelner Klagearten

§ 6 Abs. 2 und 3 HKMS kennt vier Grundarten von verwaltungsgerichtlichen Klagen: Anfechtungsklage (3.1); Verpflichtungsklage (3.2); Entschädigungsklage (3.3) und Feststellungsklage (3.4).  *9

3.1. Anfechtungsklage

3.1.1. Klageantrag

Zuzustimmen ist der Position, dass das Aufhebungsbegehren den Kern des Anfechtungsprozesses darstellt und deshalb nicht aus dem Streitgegenstand verdrängt werden darf.  *10 Der Gegenstand des Aufhebungsstreits kann sich nicht mit der Feststellung der Rechtsverletzung oder der Rechtswidrigkeit begnügen. Aus der Rechtsverletzung folgt keineswegs unbedingt die volle Begründetheit der Anfechtungsklage, da deren Stattgabe noch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängt.  *11 Die Gegenmeinungen, die den Streitgegenstand der Anfechtungsklage nur in der Feststellung der Rechtsverletzung sehen  *12 , setzen die Anfechtungsklage unbegründet mit der Feststellungsklage gleich. Das Anfechtungsurteil ist Gestaltungsurteil. Deswegen ist es in diesem Kontext auch unpräzise, über die Feststellung des Aufhebungsanspruchs oder die Feststellung der Unwirksamkeit des angefochtenen Bescheids zu sprechen. Das Gericht muss vielmehr die bisherige, normalerweise trotz der Rechtswidrigkeit bestehende Gültigkeit des Bescheids konstitutiv beseitigen.  *13 Das Fehlen der feststellenden Wirkung schließt aber die Maßgeblichkeit des Urteils hinsichtlich der Unwirksamkeit des Verwaltungsakts nicht aus. Die Bindungswirkung eines Gestaltungsurteils ist sogar umfangreicher als die Rechtskraft des Feststellungsurteils, da das erste die materielle Rechtslage ändert und dadurch auch die nicht beigeladenen Personen oder Behörden binden kann.  *14

3.1.2. Klagegrund

Umstritten ist, ob das Aufhebungsurteil neben der Gestaltungswirkung auch die Rechtswidrigkeit oder die subjektive Rechtsverletzung des Klägers feststellt. Sicher ist, dass die subjektive Rechtsverletzung – anders als die objektive Rechtswidrigkeit – im Aufhebungsstreit während der Begründetheitsprüfung relevant ist und deshalb grundsätzlich den Klagegrund darstellen kann. Die rechtspolitischen und die praktischen Erwägungen sprechen eher zugunsten der Erweiterung der Rechtskraft auf die Rechtsverletzung. Im Aufhebungsprozess werden erhebliche Ressourcen für die Klärung des Eingriffs und dessen Rechtmäßigkeit aufgewendet.  *15 Es lässt sich kaum erläutern, warum das Ergebnis der Beurteilung nicht in möglichen weiteren Verfahren maßgeblich sein soll. Zwar kann die Verbindlichkeit der detaillierten Vorfragen mitunter für die Beteiligten unvoraussehbare Konsequenzen bedeuten. Bei der rechtskräftigen Feststellung der Rechtsverletzung ist dies jedoch grundsätzlich nicht der Fall: so dürfte ein möglicher Schadensersatz- bzw. Folgenbeseitigungsan­spruch aufgrund der Rechtsverletzung die Beteiligten des Aufhebungs­prozesses kaum überraschen. Vielmehr wäre es unbefriedigend, wenn man die Rechtsverletzung eines gerichtlich aufgehobenen Verwaltungsakts im folgenden Entschädigungssprozess verneinen würde. Die Feststellungsklage schütze dann die Rechte des Klägers – ungeachtet des eventuellen Feststellungsinteresses – umfangreicher als die Anfechtungsklage. Die Anfechtungsklage stellt aber das Hauptrechtsmittel gegen belastenden Verwaltungsakte dar.  *16 Zweitens ist die Feststellung der Rechtsverletzung zum Schutz des Klägers gegen den wiederholten Erlass des aufgehobenen Bescheids nötig. Das stattgegebene Aufhebungsbegehren selbst verbietet den neuen Erlass des Verwaltungsakts nicht; bekanntlich ist der Neuerlass nur dann verboten, wenn die Behörde ihre neue Entscheidung auf die vom Gericht mißbilligten Gründe stützt. Käme der Feststellung der Rechtsverletzung keine präjudizielle Werkung zu, müsste der erfolgreiche Kläger bei der Wiederholung des rechtswidrigen Verwaltungsakts erneut die vollständige Sachprüfung begehren. Dies würde ihn jedoch unsachgemäß belasten.  *17 Deshalb nimmt die Rechtsverletzung als Grund der Anfechtungsklage an der Rechtskraft teil und das Aufhebungsurteil stellt neben seiner Gestaltungswirkung für die Beteiligten auch die Rechtsverletzung verbindlich fest.  *18

Die Feststellungswirkung des Aufhebungsurteils ist dadurch begrenzt, dass das Gericht nur die Befolgung derjenigen Normen prüfen darf, die den Kläger subjektive Rechte verleihen.  *19 Die Verletzung der Rechte von Dritten oder der Normen, die nur das öffentliche Interesse schützen, darf das Gericht in der Regel nicht kontrollieren und damit gar nicht rechtskräftig feststellen. Weitere Konkretisierungen des Klagegrundes hinsichtlich der in der Klage erwähnten Normen oder des vorgetragenen Sachverhalts wären aber zu weitgehend. Nach § 3 Abs. 1 RVastS  *20 kann jede Rechtsverletzung durch den angefochtenen Verwaltungsakt den Aufhebungsanspruch begründen, so dass sie alle entscheidungserheblich sind. Wegen der Untersuchungsmaxime muss das Gericht sie alle von Amts wegen prüfen, unabhängig davon, ob der Kläger sie vorbringt.  *21 Außerdem würde die Beschränkung des Klagegrundes nur auf die jeweils vom Kläger vorgebrachte Rechtsverletzung das Verbot der erneuten Klageerhebung unzulässigerweise kürzen. Nach der hier vertretenen Auffassung hat man mit „derselben Streitsache“ im Sinne des § 11 Abs. 31 Nr. 2–4 HKMS auch dann zu tun, wenn derselbe Kläger abermals die Aufhebung desselben Verwaltungsakts begehrt, obwohl er sich auf andere Tatsachen, Normen, bzw. Rechte lehnt, die in der erste Klage nicht erwähnt wurden.  *22 Dies geschieht aus der Grund, dass die mehrfache Anfechtung aufgrund der früher nicht vorgebrachten Tatsachen beeinträchtigt die Rechtssicherheit.  *23 Dieser abstrakte Rechtsverletzungsbegriff kann sogar in spezifischen Bereichen wie Asylrecht bestehen bleiben, wobei im deutschen Schrifttum ausnahmsweise der eingliedrige Streitgegenstandsbegriff vertreten wird.  *24 Die Rechtsverletzung im Sinne des § 3 Abs. 1 RVastS umfasst alle mögliche Verfolgungs- und Schutzgründe, die während des Asylverfahrens behandelt worden könnten.

Eine Präzisierung bleibt dennoch unumgänglich. Man muss auch die Fallkonstellationen betrachten, in denen das Verwaltungsgericht während des vorangehenden Anfechtungsprozesses den Eingriff in die Rechtssphäre des Klägers zu Recht verneint und deshalb die Klage abgewiesen hat. Nach dem Inkrafttreten des Urteils kann die Sachlage sich aber verändern, damit jetzt ein Zusammenhang zwischen den Verwaltungsakt und der Rechtsposition des Klägers entsteht. Dies kann etwa bei Vorbescheiden oder Allgemeinverfügungen  *25 vorkommen. In solchen Situationen könnte der Ausschluss der erneuten Klageerhebung die verfassungs- bzw. europarechtliche Rechtsweggarantie verletzen, da auch die Wiederaufnahme des früheren Gerichtsverfahrens ausgeschlossen ist.  *26 Es kann also festgehalten werden, dass der wegen der Änderung der Sachlage entstandene neue Eingriff als ein anderer Klagegrund betrachtet werden muss.

3.1.3. Klagegrund bei der erweiterten Klagebefugnis

In Ausnahmefällen ermöglicht das Gesetz die Klageerhebung auch nur zur Prüfung der objektiven Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung bzw. zum Schutz des öffentlichen Interesses: in Estland sind dies die Anfechtungsklagen gegen die Planungsentscheidungen  *27 , die Klagen in Umweltsachen, die Verbandsklagen und die Klagen der Gemeinden zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie.  *28 Da die subjektive Rechtsverletzung in solchen Fallkonstellationen für die Klagebefugnis irrelevant ist, muss bei diesen der Klagegrund und damit der Streitgegenstand modifiziert werden  *29 : als Klagegrund wird hier die objektive Rechtwidrigkeit festgestellt.

3.1.4. Das Verhältnis der Anfechtungs- und Rechtswidrigkeitsfeststellungsklage

Ist die Rechtsverletzung durch die Stattgabe der Anfechtungsklage rechtskräftig festgestellt, muss die Feststellungsklage desselben Klägers gegen denselben Verwaltungsakt ausgeschlossen sein.  *30 Auch nach der Auffassung des estnischen Staatsgerichtshofs umfasst der Aufhebungsantrag rechtslogisch den Antrag auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts.  *31 Man darf hieraus jedoch nicht zu weitgehende Folgerungen ziehen. Die Anfechtungsklage muss nicht zwingend wegen der fehlenden Rechtsverletzung erfolglos bleiben.  *32 Derselbe Kläger darf die Feststellungsklage nur dann nicht erheben, wenn der Anfechtungsklage rechtskräftig stattgegeben wird oder gerade wegen der fehlenden Rechtsverletzung rechtskräftig abgewiesen wird.  *33 Außerdem hat der StGH wiederholt verdeutlicht, dass das Gericht in den Fällen, in denen die Anfechtungsklage trotz der Rechtsverletzung abgewiesen wird, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts im Tenor nicht feststellen darf, wenn der Kläger die Feststellung nicht beantragt hat.  *34 Ohne einen ausdrücklichen Entscheidungssatz kann ein solches „negatives Aufhebungsurteil“ gar keine Feststellungswirkung erlangen. Daraus folgt, dass der Kläger bei einem berechtigten Feststellungsinteresse die Anfechtungsklage mit dem Feststellungsantrag ergänzen oder die Anfechtungsklage zur Feststellungsklage ändern darf. Demnach kann die Feststellungsklage auch trotz der Rechtshängigkeit der Anfechtungsklage gegen dieselbe Verfügung zulässig sein.

3.1.5. Zwischenergebnis

Der Streitgegenstand der Anfechtungsklage ist der prozessuale Anspruch des Klägers auf die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts (Klageantrag) sowie die Verletzung der Rechte des Klägers durch diesen Verwaltungsakt (Klagegrund).

3.2. Verpflichtungsklage

3.2.1. Klageantrag

Der Gegenstand des Verpflichtungsstreits ist zunächst das Begehren des Klägers, die Behörde zum Erlass eines Verwaltungsakts oder – in Estland – zur Durchführung eines Realakts zu verurteilen. Auch die Verpflichtungsklage ist keine Feststellungsklage sondern eine Verurteilungsklage.  *35 Sie stellt den materiellen Anspruch auf die Verwaltungshandlung nicht bloß fest, sondern ermöglicht auch die Vollstreckung durch das Zwangsgeld.  *36 Für die Bestimmung des Klageantrags muss es unerheblich bleiben, ob der Kläger eine bestimmte Verwaltungshandlung oder nur die (neue) behördliche Bescheidung seines Antrags begehrt. Zu oft ist es für den Kläger nicht vorauszusehen, ob er einen Anspruch auf einen konkreten Verwaltungsakt oder nur auf die Bescheidung hat. Die Möglichkeit der bestimmten Verurteilung hängt zu stark vom gerichtlichen Beurteilungsspielraum ab, um die Erfolgsaussichten des konkreten Verpflichtungsantrags richtig einzuschätzen. Auch die Möglichkeit der Klagebeschränkung bzw. ‑erweiterung und die Belehrungspflicht des Vorsitzenden in der ersten Gerichtsinstanz helfen nur wenig, da das Berufungs- oder Revisionsgericht die Lage abweichend beurteilen kann.  *37 Um die Risiken des Klägers zu vermeiden, sollte man auf den Bescheidungsantrag nicht völlig verzichten. Verpflichtungs- und Bescheidungsbegehren können auch als der gleiche prozessuale Antrag angesehen werden. Dies entspricht dem Wortlaut des § 6 Abs. 4 und 5 RVastS, der die gerichtlichen Entscheidungsoptionen ohne Rücksicht auf die Bestimmtheit des Verpflichtungsantrags regelt. Die Dispositionsmaxime bleibt unverletzt, da die Bestimmtheit der Verpflichtungsklage m.E. den Umfang des klägerischen Antrags nicht begrenzt; das Gericht muss bei der Wahl zwischen Verpflichtungs- und Bescheidungsurteil nur die materielle Rechtslage berücksichtigen. Demnach ist die strikte Verpflichtungsklage auch in den Fällen der Bescheidung völlig begründet und die Beklagte trägt die Kosten.  *38 Der Kläger verliert dadurch nicht sein Recht auf die Rechtsmittel in den Fällen, in denen statt des Verpflichtungsurteils ohne Grund ein Bescheidungsurteil ergeht  *39 , da ein solches Urteil trotz der Stattgabe der Klage seine Rechte verletzt, wenn ihm der strikte Anspruch zusteht.

3.2.2. Klagegrund

Die Bestimmung des Klagegrundes ist im Verpflichtungsprozess erschwert, da hier schon die Elemente der Begründetheitsprüfung umstritten sind. Nach einer Auffassung muss das Gericht sich gemäß § 113 Abs. 5 VwGO von der Rechtswidrigkeit der Versagung oder der Unterlassung des beantragten Verwaltungsakts und von der damit verbundenen subjektiven Rechtsverletzung überzeugen.  *40 Andere Stimmen behaupten, dass es im Verpflichtungsstreit nur auf den materiellen Leistungsanspruch des Klägers ankommt.  *41 Laut § 6 Abs. 1 RVastS kann der Kläger den Erlass eines Verwaltungsakts oder die Durchführung eines Realakts beantragen, wenn der Träger der öffentlichen Gewalt dazu verpflichtet ist und seine Pflicht die Rechte des Klägers betrifft. Diese Regelung schließt sich offenbar der letztgenannten Literaturmeinung an. Der materielle Verpflichtungsanspruch bedeutet gerade die Handlungspflicht und das damit verbundene subjektive Recht des Klägers.  *42 Der StGH dagegen ist der Meinung, dass die Begründetheit der Verpflichtungsklage stets die Rechtswidrigkeit der Versagung oder der Unterlassung voraussetzt.  *43 Vertieft man in die rechtsdogmatische Struktur dieser Auffassungen, ist im Ergebnis U. Ramsauer darin zuzustimmen, dass sie inhaltlich gleich sind.  *44 Die Stattgabe der Verpflichtungsklage setzt neben dem Anspruch auch seine Verletzung aus. Die Klage scheitert, wenn der begehrte Verwaltungsakt schon erlassen ist. Dieser Unterschied zwischen der tatsächlichen und der normativen Lage – die Weigerung der Behörde trotz des bestehenden Anspruchs  *45 – impliziert zwingend die subjektive Rechtsverletzung. Damit schließen die Begründetheitsvoraussetzungen die Rechtsverletzung als Element des Streitgegenstandes der Verpflichtungsklage nicht aus. Das Bedürfnis zur Feststellung der Rechtsverletzung ist im Verpflichtungsprozess zwar nicht so dringend wie bei der Anfechtungsklage (3.1.2), darf aber nicht völlig verneint werden. Anders als im Aufhebungsstreit ist im Verpflichtungsprozess die verbindliche Feststellung der Rechtswidrigkeit nicht für die Vermeidung der wiederholten Rechtsverletzung erforderlich, da das künftige behördliche Handeln durch den Tenor des Verpflichtungsurteils schon hinreichend vorgeschrieben ist. Der Kläger erreicht aber dadurch nicht immer sein Ziel im vollen Umfang.  *46 Durch den Nichterlass einer Baugenehmigung kann z.B. ein Verzögerungsschaden entstanden sein, der vom Verpflichtungsurteil und sogar vom späteren Erlass der Genehmigung nicht automatisch beseitigt wird. Ein zusätzlicher Staatshaftungsprozess, bei dem die Rechtsverletzung wieder relevant werden kann, ist damit nicht ausgeschlossen. Da die Feststellung der Rechtverletzung andererseits niemanden unsachgemäß schädigen kann, ergibt sich, dass die Bindungswirkung des Verpflichtungsurteils sie dennoch umfasst.

Wie bei der Anfechtungsklage, muss auch hier vom abstrakten Rechtsverletzungsbegriff (oben 3.1.2) ausgegangen werden, d.h. man darf nicht das konkret verletzte Recht, sondern nur die Tatsache der Rechtsverletzung als Klagegrund bestimmen. Sogar dies ist offen zu lassen, ob die Behörde das Recht auf eine bestimmte Leistung oder nur den Anspruch auf die ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Bescheidung verletzt hat. Wenn nötig, muss das Gericht im Verpflichtungsstreit die beiden Ansprüche von Amts wegen prüfen. Ein wiederholter Verpflichtungs- oder Bescheidungsantrag aufgrund desselben Sachverhalts muss ausgeschlossen sein. Andererseits ist aber zu bestimmen, welche behördliche Handlung eigentlich als rechtswidrig erklärt wird: der Ablehnungsbescheid, die ehemalige Unterlassung oder die andauernde Weigerung im maßgeblichen Zeitpunkt? Hier muss zwischen Versagungsgegenklage und Untätigkeitsklage differenziert werden. Die behördliche Weigerung muss zwar in beiden Fällen erst im maßgeblichen Zeitpunkt und nicht unbedingt früher die Rechte des Klägers verletzen. Das Gericht hat aber zu berücksichtigen, ob der Nichterlass des Verwaltungsakts schon durch den Versagungsbescheid rechtsverbindlich entschieden ist oder nicht. Der wirksame Versagungsbescheid erlangt Bindungswirkung hinsichtlich des Anspruchs auf die Erteilung des Verwaltungsakts und hat den Anwendungsvorrang vor den abstrakt-generellen Normen. Zwar muss etwa die Ablehnung der Baugenehmigung nicht unbedingt die materielle Rechtswidrigkeit des Bauvorhabens verbindlich feststellen.  *47 Der Ablehnungsbescheid bleibt aber während seiner Wirksamkeit maßgeblich für die Frage, ob die Baugenehmigung zu erteilen ist. Die Versagungsgegenklage kann nur erfolgreich sein, soweit das Gericht den Ablehnungsbescheid aufhebt.  *48 Für die Aufhebung ist zu prüfen, ob der Bescheid die Rechte des Klägers verletzt. In Fällen der schweigenden Unterlassung dagegen hängt die Rechtmäßigkeit der Untätigkeit oder der Verzögerung von verbindlichen Verwaltungsentscheidungen nicht ab.  *49

Anders als in Deutschland, ist nach der deutlichen Rechtsprechung des StGH der maßgebliche Zeitpunkt zur Beurteilung der Begründetheit der Verpflichtungsklage in Estland der Moment der Klageerhebung.  *50 Wird die Untätigkeit der Behörde erst nach der Klageerhebung rechtswidrig, muss der Kläger durch die Klageänderung den neuen Klagegrund vorbringen oder eine neue Verpflichtungsklage erheben.  *51 Dementsprechend stellt das Verpflichtungsurteil verbindlich fest, dass die Behörde durch die Versagung oder durch die Unterlassung der Leistung die Rechte des Klägers verletzt hat.

3.2.3. Unbegründete Verpflichtungsklage

Man kann die Rechtskraft des „negativen Verpflichtungsurteils“ in ähnlicher Weise eines die Anfechtungsklage abweisenden Urteils bestimmen. Wird die Rechtsverletzung als Klagegrund in der Urteilsbegründung ausdrücklich verneint, so steht deren Fehlen für die Beteiligten rechtskräftig fest. Beruht die Abweisung auf anderen Begründungen, fehlt die Feststellungswirkung.  *52

3.2.4. Unterlassungsklage

Durch die estnische Verpflichtungsklage können auch Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden.  *53 Der Klageantrag ist dann der prozessuale Anspruch auf Unterlassen eines Verwaltungsakts oder eines Realakts.  *54 Auch hier muss die Rechtsverletzung durch (drohende) Verwaltungshandlung als Klagegrund angesehen werden.  *55

3.2.5. Zwischenergebnis

Der Streitgegenstand des Verpflichtungsstreits ist der prozessuale Anspruch auf den Erlass des Verwaltungsakts oder auf die Durchführung des Realakts (Klageantrag) sowie die Verletzung der Rechte des Klägers durch die Versagung oder der Unterlassung des Verwaltungsakts bzw. des Realakts (Klagegrund).

3.3. Entschädigungsklage

3.3.1. Klageantrag

Im Entschädigungsprozess richtet der Klageantrag sich entweder auf die Entschädigung eines Schadens in Geld oder auf die Maßnahmen für die Beseitigung der rechtswidrigen Folgen eines Verwaltungsakts bzw. eines Realakts. Der Streitgegenstand bestimmt sich demnach zuerst durch die beantragte Leistung und durch den Schaden, der kompensiert werden muss, oder durch die Folgen, die beseitigt werden müssen. Zusätzlich wird das Entschädigungsbegehren durch die Höhe der Forderung beschränkt.

3.3.2. Klagegrund

Aus der Rechtsprechung des StGH folgt, dass auch der Verwaltungsakt oder der Realakt, mit dem nach der Auffassung des Klägers der Schaden oder die rechtswidrigen Folgen verursacht wurden, den Streitgegenstand bestimmt. Derselbe Kläger kann die Entschädigung desselben Schadens erneut beantragen, wenn er sich auf einen neuen Verwaltungs- oder einen neuen Realakt stützt.  *56 Die Berufung auf eine andere Verwaltungshandlung im derselben Staatshaftungsprozess stellt eine Klageänderung dar.  *57 Das Gericht hat den Kläger zu belehren, damit er sein Entschädigungsbegehren auf die richtige Verwaltungshandlung richten kann. Von Amts wegen darf das Gericht aber einen neuen Verwaltungs- bzw Realakt nicht in den Staatshaftungsprozess einbringen.  *58 Die in der Staatshaftungsklage genannte Verwaltungshandlung ist derjenige Lebenssachverhalt, der den Anlass zur Klageerhebung gibt. Er ist damit der Klagegrund im Entschädigungsstreit. Dieses Ergebnis ist auch rechtsdogmatisch und rechtspolitisch begründet. Die Ursache des Schadens ist während der Prüfung der Begründetheit der Entschädigungsklage festzustellen und sie schafft angemessene Konturen für einen Staatshaftungsprozess. Würde sie den Gegenstand des Entschädigungsstreits nicht beschränken, könnte das Gerichtsverfahren uferlos werden. Es besteht im Entschädigungsprozess aber kein Bedürfnis für die verbindliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schadensverursachung, obwohl sie als ein Tatbestandselement stets geprüft werden muss. Auch die materiell-rechtliche Grundlage des Schadensersatzanspruchs bestimmt den Gegenstand der Entschädigungsklage nicht.  *59

3.4. Feststellungsklage

3.4.1. Allgemeine Feststellungsklage

Durch eine Feststellungsklage kann in estnischen Verwaltungsgerichten die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts bzw. eines Realakts oder das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses begehrt werden.  *60 Der Klageantrag und der Klagegrund fallen hier grundsätzlich zusammen – der prozessuale Antrag ist auf die Feststellung der Tatsache gerichtet, deren Vorliegen auch den Grund der Klage darstellt.  *61 Bei der Rechtswidrigkeitsfeststellungsklage ist diese Tatsache die subjektive Rechtsverletzung.  *62

3.4.2. Nichtigkeitsfeststellung

Die Nichtigkeitsfeststellungsklage wird in der HKMS nicht ausdrücklich erwähnt. In der Rechtsprechung wird sie aber als eine Sonderform der Feststellung des Nichtbestehens des Rechtsverhältnisses anerkannt.  *63 Eine maßgebliche Begründetheitsvoraussetzung dieser Klageart ist neben der Nichtigkeit des Verwaltungsakts die subjektive Rechtsverletzung durch die nichtige Verfügung.  *64 Dies muss nach dem Inkrafttreten des Urteils auch verbindlich fest stehen, da der Kläger bei der Nichtigkeit des Verwaltungsakts nicht schlechter gestellt werden darf als bei der begründeten Anfechtungsklage.  *65

3.4.3. Fortsetzungsfeststellung

Der Streitgegenstand der Fortsetzungsfeststellungsklage  *66 ist in der estnischen Rechtsprechung bisher ohne Betrachtung geblieben. In vergleichbaren Situationen, in denen die Anfechtungsklage trotz der Rechtsverletzung abgewiesen worden ist, hat der StGH über den (verbotenen) Übergang von der Anfechtungsklage zur Feststellungsklage gesprochen.  *67 Demnach ist die Fortsetzungsfeststellungsklage eher eine Sonderform der Feststellungsklage als eine „amputierte Anfechtungsklage“, obwohl die Anfechtungsklage andererseits den Antrag der Rechtswidrigkeitsfeststellung beinhaltet.  *68 Klar ist, dass sich das Klagebegehren nach der Erledigung des Verwaltungsakts statt auf seine Aufhebung auf die Feststellung der Rechtsverletzung  *69 des Klägers richtet. Der Streitgegenstand darf damit die Rechtsverletzung nicht ausschließen. Daneben ist in den Streitgegenstand auch die Erledigung des Verwaltungsakts als Zulässigkeitsvoraussetzung der Fortsetzungsfeststellungsklage hinzufügen. Dafür sprechen erhebliche funktionale Gründe, denn nur dadurch kann die eventuelle behördliche Anwendung des Verwaltungsakts trotz seiner Erledigung ausgeschlossen werden.  *70

4. Schlussfolgerungen

Der vorstehende Blick auf die verschiedenen Klagearten bestätigt, dass der Streitgegenstand im estnischen Verwaltungsprozess stets zweigliedrig ist. Es muss sowohl den prozessualen Klageantrag als auch den Klagegrund beinhalten.

Ohne Berücksichtigung des Klageantrags könnten die Wirkungen von Urteilen nicht präzise genug beschrieben und die Eigenschaften verschiedener Klagearten nicht hinreichend beachtet werden. Der Klageantrag bringt am deutlichsten das klägerische Ziel zum Ausdruck. Gerade über diesen Endpunkt, nicht über die Zwischenfragen, wird vor dem Gericht gestritten. In der Regel ist der Klageantrag durch die angefochtene bzw. begehrte Verwaltungshandlung und durch die vom Kläger gewählte Rechtsschutzform bestimmt. Der bestrebte Richterspruch hinsichtlich dieser behördlichen Handlung ist wesentlich für die Identität des Streitfalles. Unterschiedliche Klageanträge hinsichtlich derselben Verwaltungshandlungen bedeuten zwar unterschiedliche Streitgegenstände; eine früher erhobene Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage kann jedoch die spätere Rechtswidrigkeitsfeststellungsklage umfassen und ihre Erhebung ausschließen.

Auch bei der völligen Nichtbeachtung des der Klage zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes bliebe die Beschreibung der Gerichtssache zu oberflächlich (insb. bei Staatshaftungsklagen) bzw. die Bindungswirkung des Urteils zu kurz (bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen). Andererseits dürfen nicht alle detaillierte Vorfragen des Falls am Klagegrund teilnehmen. Verschiedene materielle Anspruchsgrundlagen bedeuten nicht unterschiedliche Streitgegenstände. Der Umfang der Feststellungswirkung des Urteils muss voraussehbar bleiben. Außerdem würde die Bindungswirkung aller Vorfragen die Möglichkeit des isolierten Streits über die Begründungen des Urteils voraussetzen. Dieses Ergebnis ist aber offensichtlich zu vermeiden. Der Klagegrund besteht in abstrakten Umständen, die relevant und wesentlich für den Erfolg der Klage sind. Bei den primären verwaltungsgerichtlichen Klagearten (Anfechtungs- und Verpflichtungsklage), sowie bei der Rechtswidrigkeitsfeststellungsklage ist der Klagegrund die Verletzung von Rechten des Klägers durch den angefochtenen Verwaltungsakt oder durch die Weigerung der Behörde. Die in Deutschland vorgenommene Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Bescheidungsklage soll in Estland flexibilisiert werden. Das Gericht soll nur mit der bestrebten Verwaltungshandlung, nicht mit der Bestimmtheit des Klagebegehrens verbunden sein. Der Klagegrund des Schadensersatzprozesses ist die Verwaltungshandlung, die nach der Auffassung des Klägers den Schaden verursachte. Ein die Klage abweisendes Urteil erlangt die Feststellungswirkung nur insoweit, als die Elemente des Klagegrundes in der Begründung ausdrücklich verneint werden.

Der zweigliedrige Streitgegenstandsbegriff ist in allen Bereichen des Verwaltungsrechts anwendbar. Auch in Sonderfällen ändert sich die zweiteilige Struktur des Streitgegenstandes nicht. In den Fällen, in denen statt der Rechtsverletzung andere Umstände die Klage begründen können, soll der Inhalt des Klagegrundes modifiziert werden.

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pp.185-192