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JURIDICA INTERNATIONAL. LAW REVIEW. UNIVERSITY OF TARTU (1632)

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30/2021

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Die funktionale Methode bei der Rechtsvergleichung

The article deals with the nature and versatile application of the functional method, a tool used in comparative law to examine institutions of the law across jurisdictions. The approach has played a role in projects to render laws uniform and contributed to the modernisation of the German Civil Code. Although the functional method is regarded as the most fundamental technique in comparative law, neither Ernst Rabel nor well-known adherents such as Konrad Zweigert and Hein Kötz expressed any precise strategy for functional comparative research. The reader is guided through the essential assumptions and the approach of the functional method, on which legal comparativists show the greatest consensus with regard to the following steps: creating country-specific reports, putting the social problem in words (tertium comparationis), and finally conducting a critical valuation of the results found. The paper then presents an overview of the functional method’s practical application, criticisms of it, and modified approaches, culminating in a proposal related to the basic assumptions behind the method.

Keywords:

functional method; comparative law; Ernst Rabel; praesumptio similitudinis; CISG; UNIDROIT

1. Einleitung

Errungenschaften wie der Personenverkehr mit Flugzeugen, das Internet und nicht zuletzt Containerschiffe *2 , haben unsere Möglichkeiten in Konsum und Lebensgestaltung in den vergangenen 60 Jahren drastisch verändert. Das weltweite Volumen an Exportwaren war im Jahr 2019 fast zwanzigmal höher als 1960. *3 Die Globalisierung schreitet voran, Menschen werden immer internationaler, die Welt wird immer weiter vernetzt. *4 Wie kommt dabei die funktionale Methode der Rechtsvergleichung ins Spiel?

Das Recht nur auf nationaler Ebene zu betrachten hilft in vielen Fällen nicht weiter, gerade wenn es um den weltweiten Warenhandel geht. Die Globalisierung hat das Potenzial, dass nationale Grenzen, die beispielsweise durch Rechtssysteme gezogen werden können, an Bedeutung verlieren. *5 Die Zusammenarbeit, Integration und Vernetzung von Märkten, Gesellschaften und Staaten auf der ganzen Welt wirken sich auch auf die einzelnen Rechtssysteme aus.

Rechtsvergleichung kann dabei helfen, in dieser sich schnell verändernden Welt die Rechtslandschaft globaler zu betrachten. *6 Die funktionale Methode der Rechtsvergleichung gilt dabei als die grundlegende Methode. *7 Doch gerade in den letzten 30 Jahren hat sie viel Kritik erfahren (siehe unter 3.) und Rechtswissenschaftler entwickelten modifizierte Ansätze (siehe unter 4.). Ihr Nutzen für die Rechtswissenschaft, sei es für die Rechtsvereinheitlichung, für die Lehre oder als Hilfsmittel für Gesetzgeber, war und bleibt dennoch hoch. Ist die funktionale Methode noch zeitgemäß, die Kritik an ihr berechtigt? Auf diese Fragen soll der Beitrag Antworten geben, indem unterschiedliche Kritikansätze und modifizierte Methoden aufgezeigt werden und im Ausblick eine Einschränkung der Grundannahmen der funktionalen Methode vorgeschlagen wird.

2. Entstehung und Vorgehensweise der funktionalen Methode

Als man in der früheren Rechtsvergleichung noch dazu neigte, Rechtsinstitute miteinander zu vergleichen, stellte sich heraus, dass äußerlich ähnliche Begriffe selten auch die gleiche Bedeutung haben. Diese sprachlichen Ähnlichkeiten nennt Husa das false-friends-syndrome. *8 Beispielsweise haben der Präsident der USA und der Bundespräsident in Deutschland ganz unterschiedliche Kompetenzen. Somit erfüllt der äußerlich gleiche Begriff „Präsident“ in unterschiedlichen Rechtssystemen unterschiedliche Funktionen.

Auch in Abhängigkeit von sozial-kulturellen Unterschieden kann das gleiche Rechtsinstitut in einem anderen Rechtssystem eine andere Funktion erfüllen. *9 Die funktionale Methode gilt als klassische Methode und als Grundprinzip für viele modifizierte Methoden, die aus ihr entstanden sind. *10

Sie setzt den Gedanken voraus, dass Recht eine Funktion hat. Das Recht dient also der rationalen Lösung bestimmter Probleme. *11 Der Schwerpunkt der funktionalen Methode liegt wegen ihrer anti-formalen Herangehensweise in der Verbindung zwischen Recht und Gesellschaft. *12 Diese Herangehensweise ist bei der interkulturellen Vergleichung unverzichtbar, da die Vergleichbarkeit in zwei Rechtssystemen schwer zu bestimmen ist. *13

2.1. Begründung nach Rabel

Ernst Rabel gilt als Begründer der funktionalen Methode. Der Aufsatz, in dem Rabel die Notwendigkeit der Rechtsvergleichung betont, ist vom beendeten Ersten Weltkrieg geprägt. *14 Er schrieb, dass die Deutschen während des Krieges feststellen mussten, dass sie zu wenig über das Ausland und dessen Denkart wussten. *15 Auch bei den Juristen bemängelte er die fehlenden Kenntnisse über die Einstellung ausländischer Juristen gegenüber dem Recht, obwohl es bei Verhandlung von Staatsverträgen, Gerichts- und Schiedsgerichtsverhandlungen mit Auslandsbezug gerade auf diese ankommt. Daher forderte Rabel, „deutsche Juristen [sollten] um die juristische Mentalität des Auslands wisse[n]“. *16 Rabel entschied sich dafür, den Fokus seiner vergleichenden Arbeiten nicht auf Rechtsgeschichte oder -philosophie zu setzen, sondern sie an den Interessen und Bedürfnissen der Rechtspraktiker zu orientieren. *17 Gerade die Orientierung hin zu praktischen Ergebnissen macht die funktionale Methode in der Rechtsvergleichung so relevant. *18 Er fokussierte sich in seinen Arbeiten auf die Funktion der Normen in der Praxis, die er untersuchte und wurde damit in der Rechtsvergleichung zum Pionier. *19

2.2. Definition und Grundannahmen

In der funktionalen Methode lassen sich drei Grundannahmen erkennen, die jedem Rechtsvergleich vorausgesetzt werden.

Die erste Annahme besagt: Recht ist da, um Lösungen für Probleme zu finden. Man sieht Recht als Instrument, menschliches Verhalten zu steuern und Antworten für die sozialen Bedürfnisse und Interessen des Menschen zu geben. *20 Recht ist kein von der Gesellschaft losgelöstes Konstrukt, sondern erfüllt eine Funktion für gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bedürfnisse. *21 Die Funktionen des Rechts überschreiten Rechtssysteme, sind nicht an sie gebunden und somit system-neutral. *22

Unterschiedliche Gesellschaften werden mit zumindest ähnlichen Problemen konfrontiert. Die eigentliche Funktion von Rechtsinstituten ist sozialwissenschaftlicher Natur. Deswegen nimmt man in der funktionalen Rechtsvergleichung an, dass die Probleme, die den Rechtsordnungen gestellt werden, ähnlich wenn nicht sogar identisch sind. *23

Die praesumptio similitudinis ist die Vermutung für die Ähnlichkeit praktischer Lösungen. *24 Sie besagt, dass gleiche Probleme oder Bedürfnisse im Rechtsverkehr in den entwickelten Rechtsordnungen gleich oder sehr ähnlich gelöst werden. *25 Zwar unterscheiden sich die inländischen Rechte in ihren Herangehensweisen an Probleme und ihrer Technik; die durch sie erlangten praktischen Ergebnisse sind jedoch im Allgemeinen ähnlich. *26 Diese Annahme kann ein erster Hinweis sein, an welchen Stellen sich in der Herangehensweise an Lösungen fremder Rechtsordnungen Ähnlichkeiten finden lassen. *27 Außerdem soll die praesumptio similitudinis als Kontrollmittel am Ende des Vergleichs dienen. Wenn der Vergleicher am Ende der Untersuchung ähnliche oder gleiche Lösungen gefunden hat, ist dies ein zufriedenstellendes Ergebnis. *28 Wenn allerdings starke Unterschiede festgestellt werden, muss der Rechtsvergleicher hinterfragen, ob er den funktionalen Begriff der Rechtsfigur richtig definiert hat und an den richtigen Stellen in den Rechtssystemen und allen anderen Bereichen des sozialen Lebens geprüft hat. *29 Die Lösung eines Problems muss nicht zwangsläufig in einer Rechtsnorm ausgedrückt sein. Sie kann auch in einem Brauch oder einer anderen sozialen Praktik liegen. *30

2.3. Vorgehensweise der funktionalen Methode

Zweigert und Kötz bezeichnen die Funktionalität als das methodische Grundprinzip der gesamten Rechtsvergleichung. *31 Aus ihr ergeben sich alle weiteren Schritte der Methode. Die funktionale Methode gilt als die klassische Form der heutigen Rechtsvergleichung. Ihr wird von den allermeisten rechtsvergleichenden Untersuchungen gefolgt, wenn auch teils unbewusst. *32 Ihre Grundsätze sind oft Maßstab für die Qualität der rechtsvergleichenden Arbeit. *33 Doch haben weder Begründer noch Befürworter eine genaue Forschungsstrategie zur funktionalen Methode benannt. *34 Es fehlen konkrete Ausführungen von Rabel, wie er zu seinen Ergebnissen gelangt ist. *35 Daher finden sich in rechtsvergleichenden Arbeiten selbst meist Anleitungen, wie der Rechtsvergleich durchgeführt werden sollte. *36 Zumeist wird nach den folgenden Schritten vorgegangen:

Vor der eigentlichen Rechtsvergleichung werden Länderberichte erstellt, die die Rechtslage im jeweiligen Land widerspiegeln. Dabei kommt es auch darauf an, die spezifische Systematik des Rechtssystems aufzuzeigen und die Rechtslage wertungsfrei wiederzugeben. *37 Es sollen also neutrale Gutachten zu den Rechtslagen erstellt werden.

Im Zentrum jedes Rechtsvergleichs steht das konkrete Sachproblem. *38 Die zu vergleichenden Gegenstände sollen zueinander in Bezug gesetzt werden. Die untersuchte Fragestellung ist das tertium comparationis, wörtlich das Dritte beim Vergleich. *39 Das tertium comparationis ist das soziale Problem, mit dem sich der Vergleich beschäftigt. Dieses soziale Problem muss frei von systemeigenen Begriffen sein; die Funktion steht im Vordergrund. *40 Ziel ist es, funktionale Entsprechungen in den verglichenen Rechtsordnungen zu finden. *41

Das tertium comparationis muss passend formuliert werden. Hierbei soll die Funktion, die ein Rechtsinstitut im jeweiligen Rechtssystem erfüllt, beschrieben werden. Dabei sollen Begriffe, die man aus der heimischen Rechtsordnung kennt, außen vor bleiben. Anstatt beispielsweise allgemein nach den Formvorschriften des ausländischen Rechts bei einem Kaufvertrag zu fragen, stellt man eine konkrete Frage: Wie schützt das ausländische Recht die Parteien vor der Bindung an ein nicht ernstgemeintes Geschäft? Will man Lösungen im ausländischen Recht finden, die dem Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB entsprechen, könnte man fragen: Wie wird in den zu vergleichenden Rechtsordnungen der Interessenkonflikt gelöst, der bei der Rückabwicklung eines fehlgeschlagenen Vertrags entsteht, wenn die zurückzugebende Leistung nicht mehr beim Vertragspartner ist? *42

Ob eine kritische Wertung am Ende des Vergleichs als notwendiger Teil der rechtsvergleichenden Arbeit anzusehen ist, ist umstritten. Einerseits wird vertreten, dass ohne sie die Ergebnisse des Vergleichs ungenutzt bleiben würden. *43 Ob es nach dem Vergleichsprozess zu einer Evaluation der Ergebnisse kommt, hängt nach einer anderen Meinung von der Zielrichtung der vergleichenden Arbeit ab. *44 Wenn der Vergleich zum Ziel hat, ein fremdes Recht besser zu verstehen, ist eine kritische Bewertung meist nicht notwendig. Soll die vergleichende Arbeit jedoch der Rechtsfortbildung oder Rechtsvereinheitlichung dienen, kann gerade die Bewertung der bedeutendste Teil des Vergleichs sein. *45 Diese darf sich jedoch nicht auf das Rechtssystem an sich beziehen; sie soll die Wirksamkeit einer Herangehensweise an ein rechtliches Problem im Kontext der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Eigenheiten der untersuchten Rechtsordnung bewerten. *46

3. Nutzen der funktionalen Methode

Die funktionale Methode wird in vielen Bereichen der Rechtswissenschaft und der Rechtspraxis genutzt. Sie kann bei Projekten der Rechtsvereinheitlichung helfen und bietet eine Grundlage für das Verständnis für Rechtsvergleichung in der Lehre. Auch im Internationalen Privatrecht findet die funktionale Methode Anwendung, wenn für die Charakterisierung eines ausländischen Rechtsinstituts ein funktionales Äquivalent im eigenen Recht ermittelt werden muss. *47

3.1. Lehre der Rechtswissenschaft

Die funktionale Methode der Rechtsvergleichung bietet Studierenden die Möglichkeit, Lösungen anderer Rechtsordnungen zu verstehen. Die funktionale Methode befindet sich außerhalb der dogmatischen Zwänge, *48 die das heimische Recht oft aufweist. Zweigert und Kötz beschreiben diese Notwendigkeit als Befreiung des Juristen von „seinen eigenen juristisch-dogmatischen Vorurteilen“. *49 Das trifft auch auf die Lehre zu. Wenn man sich durch die funktionale Rechtsvergleichung von den sogenannten Systembegriffen der eigenen Rechtsordnung befreit, eröffnet sich dadurch ein neuer Horizont an Lösungsansätzen. Die Erkenntnisse, die durch die Rechtsvergleichung gewonnen werden, sind wichtig, besonders, wenn man sich die internationalen Verflechtungen unseres Rechtssystems vor Augen führt. *50 Es ist daher wichtig, dass sowohl Studierende der Rechtswissenschaft als auch Praktiker Lehre erhalten, die den Herausforderungen der heutigen Zeit entsprechen. *51 Ausländisches Recht bekommt in den meisten juristischen Berufen, sei es Anwalt oder auch Richter, eine immer größere Bedeutung. *52 Daher sind rechtsvergleichende Lehrangebote wichtig, um den Einstieg in ausländische Rechtsgebiete zu ermöglichen beziehungsweise zu vereinfachen.

3.2. Projekte der Rechtsvereinheitlichung

Insbesondere für das Ziel der Rechtsvereinheitlichung kann die funktionale Methode gute Ergebnisse liefern. *53 Als Beispiel hierfür soll die Entwicklung des United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG) dienen.

1928 schlug Rabel dem Internationalen Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts in Rom (UNIDROIT) vor, das internationale Warenrecht zu vereinheitlichen. *54

Als Vorlage für das kaufrechtliche Vorhaben des Internationalen Instituts für Vereinheitlichung des Privatrechts in Rom (UNIDROIT) diente Rabels 1936 erstmals veröffentlichte Werk „Das Recht des Warenkaufs“, bei dem es sich um eine rechtsvergleichende Darstellung des Warenkaufrechts handelt. *55 Er entwickelte die funktionale Methode auch als Teil des Projektes, eine Lösung für die Vereinheitlichung des internationalen Kaufrechts zu finden. *56 Die Arbeit von UNIDROIT, ein materielles Einheitsrecht zu verwirklichen, führte 1964 zu den Haager Kaufgesetzen. *57 Rabels Ziel, die Vereinheitlichung des internationalen Kaufrechts, wurde durch die Haager Kaufgesetze weitgehend durchgesetzt. *58 Allerdings fanden die Kaufgesetze nur geringen Anklang – sie wurden von nur insgesamt neun Staaten ratifiziert. Die Entstehungsphase war auf Westeuropa fokussiert. Daher fühlten sich sowohl Common-Law-Staaten, als auch sozialistisch geprägte Länder und Entwicklungsländer durch die Haager Kaufgesetze nicht repräsentiert. *59

1966 wurde mit UNCITRAL eine weitere UN-Kommission gegründet, die mit der Überarbeitung der Haager Kaufgesetze beauftragt war. Damit sollte die Attraktivität und Akzeptanz für ein Kaufgesetz für Staaten unterschiedlicher Rechts- und Wirtschaftssysteme erhöht werden. *60 Im April 1980 wurde in Wien das UN-Kaufrecht in Wien verabschiedet. *61 Inhaltlich baut das CISG auf dem Haager Kaufrechtsübereinkommen von 1964 auf. *62 Diesmal waren aber in den vorbereitenden Arbeitsgruppen für das CISG Staaten aus allen Teilen der Welt vertreten. *63 Dies führte dann auch zu der viel höheren Akzeptanz im Gegensatz zu den Haager Kaufgesetzen. Es gilt mit den heutigen 94 Vertragsstaaten *64 zu den erfolgreichsten Übereinkommen des Einheitsprivatrechts. *65 Für den Erfolg, den das Einheitskaufrecht durch das CISG erfahren hat, hat Rabels Werk „Das Recht des Warenkaufs“ die entscheidende Grundlage geboten. *66

Das BGB wurde im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung im Jahr 2002 auch durch rechtsvergleichende Mittel reformiert. *67 Durch das CISG beeinflusste Rabel auch mittelbar das BGB, besonders stark bei § 280 BGB, dem neuen zentralen Pflichtverletzungstatbestand des BGB seit der Schuldrechtsreform 2001. *68 Dieser lehnt sich an das einheitliche Konzept der Vertragsverletzung aus dem CISG an. *69 In der amtlichen Begründung zur Schuldrechtsmodernisierung betonen die Verfasser auch den Beitrag Rabels zum neuen Unmöglichkeitsrecht. *70 Die funktionale Methode diente also nicht nur diesen Projekten der Rechtsvereinheitlichung, sondern, mittelbar durch die Vorarbeit Rabels, auch der Reform des BGB.

4. Die Kritik an der funktionalen Rechtsvergleichung

Die Kritik an der funktionalen Methode ist vielseitig und umfangreich. Einige Kritikpunkte setzen direkt an den Grundannahmen der funktionalen Methode an; *71 andere an ihren Zielen und ihrer Wirkung.

4.1. Die Grundannahmen in der Kritik

Wenn man die Annahme, dass Rechtsnormen nur der Funktion der Lösung von Problemen folgen, als gegeben sieht, wird das Recht ausschließlich auf die Funktion reduziert, die in jeder Gesellschaft sehr ähnlich ist. Hierdurch schaut man leichtfertig über kulturelle und symbolische Dimensionen des Rechts hinweg. *72

Nicht alle Normen sind funktional mit einem sozialen Zweck verbunden. Sie laufen manchmal jedem erkennbaren Nutzen zuwider. *73 Manche Normen verfolgen den sozialen Zweck auch nicht vordergründig: Beispielsweise wurde im Jahr 2000 in sehr kurzer Zeit ein Gesetz über den Umgang mit gefährlichen Hunden erlassen. Im Vordergrund dieses Gesetzes stand nicht der soziale Zweck; es ging dem deutschen Gesetzgeber mehr darum, zu zeigen, etwas gegen das Problem zu unternehmen, statt es auch wirklich zu lösen. *74 Dies würde zu Problemen führen, wenn man die funktionale Vergleichsfrage stellt, wie Rechtssystem X und das deutsche Rechtssystem mit gefährlichen Hunden umgehen.

Nicht alle Normen verfolgen nur eine einzige Funktion. Eine Rechtsnorm kann auch eine Mehrzahl an verschiedenen Funktionen erfüllen. Es kommt dann darauf an, für oder gegen wen die Rechtsnorm ihre Funktion erfüllt. *75

Gerade die zweite Annahme schränkt die Praktikabilität der funktionalen Methode ein. *76 Sie geht davon aus, dass die Probleme in den Gesellschaften verschiedener Rechtssysteme zumindest ähnlich sind. Die Vermutung, dass alle Gesellschaften den gleichen Problemen begegnen, ist nach Michaels ein Hinweis darauf, dass der starke Glauben an die funktionale Grundannahme Beweis tief verbindender Werte zwischen Gesellschaften ist. *77 Die funktionale Methode funktioniert, wenn unterschiedliche Rechtssysteme tatsächlich mit gleichen Problemen konfrontiert sind. Allerdings kann man nicht davon ausgehen, dass sie dies auch immer tun. *78 Beispielsweise haben Gesellschaften verschiedene Auffassungen über den Ehebruch und behandeln diesen unterschiedlich. *79

Die praesumptio similitudinis, also die Vermutung, dass Probleme ähnlich gelöst werden *80 , kann bei einem Vergleich zwischen ähnlichen Kulturen gut funktionieren. *81 Sie kann aber auch in Konflikt mit kulturellen, historischen und auch politischen Eigenheiten von Rechtssystemen geraten. *82 Dies wird insbesondere bei funktionalen Vergleichen zwischen einer kapitalistischen und sozialistischen Gesellschaft vermutet. *83 Die Gründung der Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg führte dann aber unter anderem auch zu internationalen Konventionen, die einheitliches Recht schaffen sollten. Diese wurden von Ländern mit verschiedenen Wirtschaftssystemen unterzeichnet. Dies ist ein Indiz dafür, dass man die sehr unterschiedlichen Systeme doch für vergleichbar hielt. *84 Mittlerweile nimmt man die Vergleichbarkeit der Normen und Rechtsordnungen zweier Länder unterschiedlicher Wirtschaftssysteme an. *85

Trotzdem fällt auf: Wenn man zwei Rechtssysteme vergleicht, deren Kulturen weit voneinander entfernt sind, wird man feststellen, dass manche Probleme anders gelöst werden. Stellt der Vergleich Unterschiede fest, muss nach der praesumptio similitudinis das Ergebnis des Vergleichs überprüft werden. *86 Die funktionale Methode an sich ist jedoch gleichsam anwendbar auf Vergleiche, die Ähnlichkeiten, und solche, die Unterschiede feststellen. Ob das Ergebnis zu Unterschieden oder Ähnlichkeiten führt, kann der Vergleicher zu Beginn nicht entscheiden. *87 Sobald ein Rechtssystem einem Problem eine andere Rolle zumisst, sind diese nicht mehr ähnlich. *88

Bei Anwendung der funktionalen Methode läuft man Gefahr, den Mehrwert eines rechtlichen Instituts eines Rechtssystems falsch zu interpretieren oder, noch gravierender, den Zweck zu übersehen. *89 Doch solange rechtliche als auch nicht-rechtliche Institute in ihrem jeweiligen Rechtssystem eine ähnliche Funktion erfüllen, sind sie miteinander vergleichbar, auch wenn sie von einer unterschiedlichen Doktrin geleitet werden. *90

4.2. Kritik an den Hintergründen und Zielen

„Versuchen Sie zu vergessen, jemals Jura studiert zu haben. Gehen Sie niemals ein Problem an, wie Sie es zuhause angehen würden. Es wäre gut möglich, dass Sie verloren gehen“. *91 Diesen Hinweis gab Rheinstein ausländischen Studierenden an der Universität Chicago. Er macht damit auch auf eine Schwäche der funktionalen Methode aufmerksam. Ein Jurist, der in einem Rechtssystem ausgebildet wird, betrachtet Lösungen in anderen Rechtssystemen voreingenommen. *92 Wenn man versucht, die Ideen zu verstehen, die hinter einem fremden Rechtssystem liegen, braucht es mehr als nur Literatur über das fremde Rechtssystem. Es bedarf eines Juristen, der in dem fremden Rechtssystem studiert hat und ausgebildet wurde. *93 Der Blick von außen muss aber nicht zwangsläufig nachteilig sein. Wenn es darum geht, versteckte, gewohnheitsrechtliche Annahmen eines fremden Rechtssystems zu entdecken, kann der Blick eines dem System fremden Juristen hilfreich sein. *94 Die Maxime, die Rheinstein einst seinen Studierenden vermittelte, ist schwer zu erreichen. Man wird jederzeit von dem Recht geprägt sein, das man zuerst umfassend studiert hat.

Alan Watsonstellt mit seinem Ansatz der legal transplants [95] in Frage, dass Recht der Lösung von Problemen diene. *96 Er definiert legal transplants als Verschiebung einer Rechtsregel oder eines Rechtssystems von einem Land zu einem anderen oder von einem Volk zu einem anderen. *97 Das Entleihen fremder Rechtsinstitute und deren Anpassung sei die übliche Art, wie sich Recht entwickelt. *98 Recht existiert deshalb nach Watson zu einem Großteil losgelöst von der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Entwicklung. Es sei auch nicht funktional an die Lebensumstände einer bestehenden Gesellschaft gebunden. *99 Watson betont die Wichtigkeit der Rechtsgeschichte hinter den Rechtsnormen. In der Rechtsvergleichung solle man die historische Beziehung zwischen Rechtssystemen beachten. Daraus folgt, dass zwischen Rechtssystemen, die historisch keine Beziehung zueinander haben, keine Rechtsvergleichung stattfinden kann. *100 Damit widerspricht Watson einer Annahme der funktionalen Methode. Funktionen von Rechtsnormen können nach ihm nicht unabhängig von den Rechtssystemen miteinander verglichen werden. Diese Ansicht wurde insbesondere von Legrand kritisiert. *101 Nach ihm müsste man, um legal transplants anzunehmen, Rechtsnormen als autonome Einheit ohne historischen oder kulturellen Einfluss sehen. *102 Die Funktion einer Rechtsnorm hängt jedoch von den Annahmen desjenigen ab, der sie interpretiert. Diese sind wiederum kulturell und historisch bedingt. *103 Recht lässt sichohne den geschichtlichen, politischen, und sozial-ökonomischen Kontext nicht verstehen. *104

5. Modifizierte Ansätze der funktionalen Methode

Aus der vielseitigen Kritik an der funktionalen Methode wurden verschiedene modifizierte Ansätze der funktionalen Methode entwickelt, die im Folgenden erläutert werden.

5.1. Strukturelle Vergleichung

In der strukturellen Vergleichung wird in den zu vergleichenden Rechtsordnungen nach ähnlichen strukturellen Elementen gesucht. Nachdem diese gefunden sind, wird der rechtssoziologische Zweck der Strukturen in den Rechtssystemen geprüft. *105 Die strukturelle Rechtsvergleichung kann man daher als spezielle Anwendung der funktionalen Methode betrachten. *106

Hyland schreibt in seinem rechtsvergleichenden Werk Gifts über das Phänomen des Schenkens in verschiedenen Rechtssystemen. *107 Er sieht im funktionalen Vergleich und dem Recht über die Schenkung eine besondere Schwierigkeit. Beim Schenkungsrecht steht zuerst die Frage, welchen Zweck das Schenken an sich verfolgt, bevor man untersuchen kann, welche Normen die Schenkung am ehesten regulieren. *108 Der sozial-kulturelle Zweck des Geschenks, also Symbol, Zuneigung oder sozialer Druck, muss geklärt werden, bevor man überhaupt zu den Funktionen der Rechtsnormen kommt.

Obwohl Hyland der funktionalen Methode kritisch gegenübersteht, wendet er dennoch eine modifizierte Art der funktionalen Methode an. *109 Er verbindet die klassische funktionale Denkweise mit der neueren, anthropologischen Rechtsvergleichung. Daher wird die strukturelle Vergleichung auch als funktionale Methode des 21. Jahrhunderts beschrieben. *110

5.2. Saccos dynamischer Ansatz

Der dynamische Ansatz, der von Rodolfo Sacco begründet wurde *111 , liegt zwischen der funktionalen und strukturellen Rechtsvergleichung. *112 Sacco führte die Theorie der rechtlichen Formanten (legal formants) ein, die verschiedene Elemente des „lebendigen Rechts“ beinhaltet, zum Beispiel gesetzliche Regelungen, wissenschaftliche Kommentare und Lehren sowie Gerichtsentscheidungen. *113 Um nach Sacco Ähnlichkeiten und Unterschiede in Rechtssystemen herauszufinden, muss neben der Gesetzgebung insbesondere auch die Rechtsprechung herangezogen werden. *114 Denn: Rechtsnormen zweier Länder können zwar ähnlich oder gleich sein, Gerichte verschiedener Länder können aber auf Basis der Rechtsnormen anders entscheiden. Rechtliche Formanten sind rechtliche Vorschläge, die einen Effekt auf die Lösung eines rechtlichen Problems haben. *115 Saccos Kernthese ist die Vielfalt statt der Einheit der rechtlichen Regeln einer Rechtsordnung. *116 Der dynamische Ansatz zeigt die Vielschichtigkeit des Vorgangs der Rechtsfindung auf, die Rechtsvergleichende beachten müssen. *117

5.3. Constantinesco: Das 3-Phasen-Modell

Die Methode von Constantinesco beschränkt sich auf die Form der Untersuchung einzelner Rechtsprobleme. *118 Der Vergleichsvorgang unterteilt sich nach ihm auf drei Phasen: Feststellen, Verstehen und Vergleichen. *119 In der ersten Phase soll festgestellt werden, wie die zu vergleichenden Rechtsordnungen das untersuchte Rechtsinstitut behandeln. *120 Im zweiten Schritt der Methode Constantinescos soll das zu vergleichende Element in die betreffende Rechtsordnung eingegliedert werden. *121 Dafür muss der Rechtsvergleicher sowohl die grundlegenden Elemente der Rechtsordnung kennen als auch die außerrechtlichen, namentlich wirtschaftlichen, sozialen und politischen Aspekte. *122 In der dritten Phase sollen dann alle Elemente der betrachteten Rechtsinstitute miteinander verglichen werden. Dabei sollen zunächst die Unterschiede und Ähnlichkeiten bestimmt werden, um festzustellen, welche Beziehung die verglichenen Elemente zueinander aufweisen. *123

Für Constantinesco bedeutet das von ihm beschriebene Vorgehen der funktionalen Methode eine Vermischung der Rechtssoziologie und Rechtsvergleichung. Erstens kann der außerrechtliche Faktor nicht nur sozialer Natur, sondern auch politisch, moralisch oder ideologisch sein. Zweitens beschäftigt sich Rechtsvergleichung mit der Normativität des Rechts und muss daher vom Rechtssatz oder vom rechtlichen Problem ausgehen. *124

5.4. Kontextuelle Rechtsvergleichung

Kischel hält eine universell anwendbare rechtsvergleichende Methode für realitätsfern. Alle besonderen Leistungen bekannter Rechtsvergleicher seien auch durch neue Ideen, die die Methode betreffen, entstanden. Er befürwortet den grundsätzlichen Gedanken der funktionalen Methode. Um den Diskussionen über die funktionale Methode und ihren Assoziationen zu entgehen, könnte es laut Kischel sinnvoll sein, den Begriff des Funktionalen abzulegen, ihren Kerngedanken aber beizubehalten. *125 Auch bei der funktionalen Methode muss neben der rechtlichen auch die außerrechtliche Ebene beachtet werden, um den Kontext des Sachproblems zu erkennen. Daher schlägt er den Begriff der kontextuellen Rechtsvergleichung vor. *126 Diese soll die Grundannahmen und Grenzen der funktionalen Methode bestehen lassen, sich aber auf keine Art von Fragestellung beschränken. Ein immer einzuhaltendes Modell lässt sich laut Kischel aufgrund der vielschichtigen, komplexen Realität nicht bereitstellen. *127 Jede einzelne Fragestellung bedarf einer wiederkehrenden, neuen Analyse und den Einbezug aller relevanten Gesichtspunkte des Kontextes. *128

6. Ausblick

Die funktionale Methode besteht mittlerweile in sehr vielen verschiedenen Versionen. *129 Husa sieht die funktionale Methode nicht als einzige Vergleichsmethode. *130 Auch nach Hyland kann keine universelle Methode für jeden Rechtsvergleich zufriedenstellend angewandt werden. Für jeden Vergleich muss eine neue oder modifizierte Methode entwickelt werden. *131 Die funktionale Methode liefert weiterhin gute Ideen und trägt zur Rechtsvereinheitlichung bei. Diese ist mit dem Common Frame of Reference auf EU-Ebene und auch dem CISG schon zumindest ein Stück vorangeschritten, wobei man von einer weltweiten Rechtsvereinheitlichung des Privatrechts noch weit entfernt ist. *132 Auch die vom jeweiligen System befreiten Begriffe sind bedeutsam: Sie fördern die Verständlichkeit und Kommunikation zwischen vergleichenden Rechtswissenschaftlern. Seit Begründung der funktionalen Methode sind schon knapp 100 Jahre vergangen. In dieser Zeit ist der internationale Austausch in vielen Bereichen um ein Vielfaches gewachsen. Flugreisen sind erschwinglich geworden und machen es nicht nur privilegierten Menschen möglich, weit entfernte Länder zu bereisen. Damit steigt auch der rechtswissenschaftliche Austausch an. Austauschprogramme wie Erasmus+ ermöglichen Studierenden der Rechtswissenschaft Einblicke in neue Rechtssysteme. Auch werden Lehrveranstaltungen zur Rechtsvergleichung angeboten. Die veränderten Rahmenbedingungen haben auch die Rahmenbedingungen für die funktionale Methode geändert. Sie ist nicht überholt, sollte aber möglicherweise für jede rechtsvergleichende Arbeit neu bestimmt werden.

Man könnte die Grundannahmen der funktionalen Methode folgendermaßen einschränken:

– Recht dient in den meisten Fällen zur Lösung von Problemen.

– Verschiedene Gesellschaften sehen sich sehr häufig den gleichen Problemen ausgesetzt.

– Gesellschaften kommen häufig zu ähnlichen Lösungen.

Mit diesen drei modifizierten Grundannahmen kann die Methode jeder rechtsvergleichenden Fragestellung individuell angepasst werden. Damit soll der Kontext, in dem die rechtsvergleichende Fragestellung steht, hervorgehoben werden, so wie es auch Kischel vorschlägt. *133

pp.71-80