20 years of the Estonian Constitution
XIX/2012
ISBN 978-9985-870-29-7
Issue
1. Einleitung
Die mit AGB *1 in Verbraucherverträgen verbundenen Fragen werden durch die Richtlinie 93/13/EWG *2 geregelt. Bekanntlich ist die Klausel-Richtlinie darauf gerichtet, den Verbrauchern vor den missbräuchlichen Klauseln zu bewahren. Daneben legt die Klausel-Richtlinie auch das sogenannte Transparenzgebot fest: nach Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Klausel-RL müssen alle dem Verbraucher unterbreiteten Klauseln klar und verständlich abgefasst sein. In dem vorliegenden Aufsatz wird zuerst der Inhalt des Transparenzgebots beschrieben. Danach wird untersucht, wie und auf welcher Ebene die Transparenz einer AGB-Klausel in den innerstaatlichen Rechtsordnungen geprüft wird und welche Folgen die fehlende Transparenz der Vertragsklausel mit sich bringt. Diese Fragen werden für das estnische, deutsche und österreichische Recht vergleichend analysiert. Zusätzlich wird danach gefragt, ob die estnische Regelung des Transparenzgebots richtlinienkonform ist. Die Autoren wollen zeigen, dass in den deutschen und österreichischen Rechtsordnungen das Transparenzgebot bei dem effektiven Verbraucherschutz – sowohl in Individual- als auch in Verbandsverfahren – eine sehr wichtige Rolle spielt und dass man auch in Estland von diesem Verbraucherschutzinstrument öfter Gebrauch machen sollte. Deswegen bedarf das estnische positive Recht einer Änderung, nachdem die Prüfung des Transparenzgebots auch im Verbandsverfahren möglich wäre.
2. Grundlagen des Transparenzgebots
2.1. Begriff und Inhalt des Transparenzgebots
In Estland sind die Bestimmungen der Klausel-RL durch den 2. Abschnitt des 2. Kapitels des am 01.07.2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsgesetzes *3 (SchG) umgesetzt worden. Das estnische AGB-Recht ist überwiegend durch das in Deutschland bis 2001 geltende AGB-Gesetz und dessen Anwendungspraxis, aber auch durch die Zivilgesetzbücher der Schweiz, Österreichs, Griechenlands und der Niederlande inspiriert worden. *4 In Deutschland sind die Bestimmungen über AGB in das Bürgerliche Gesetzbuch *5 (BGB) integriert worden (§§ 305–310); in Österreich finden sich allgemeine, nicht auf Verbraucherverträge beschränkte Regelungen in §§ 864a und 879 Abs. 3 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches *6 (ABGB) und spezielle Bestimmungen für Verbraucherverträge in § 6 des Konsumentenschutzgesetzes *7 (KSchG).
Im Folgenden wird vergleichend untersucht, nach welchen Kriterien die Transparenz beurteilt werden kann und wann eine Klausel als intransparent angesehen wird. Diese Ergebnisse sind nötig, um den Umfang des Anwendungsbereichs der Transparenzkontrolle schätzen zu können.
Aus dem Gedanken der Art. 5 der Klausel-RL ergibt sich, dass es Sache des Verwenders ist, sich klar und unmissverständlich auszudrücken. *8 Das Transparenzgebot verpflichtet den Verwender, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners in den AGB möglichst klar, einfach und präzise darzustellen. *9 Das Transparenzgebot ist darauf gezielt, im Interesse der Kunden für Verständlichkeit der AGB zu sorgen und den Verwender die Nachteile unklarer oder undurchsichtiger Vorformulierungen tragen zu lassen. *10 So müssen die Rechte und Pflichten des Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar dargestellt sein.
Das Transparenzgebot ist eng mit der Verschaffung der Möglichkeit verbunden, anderer Vertragspartei in zumutbarer Weise vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen (sieh auch § 305 Abs. 2 BGB; § 37 Abs. 1 SchG). Zur Verschaffung der Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme ist erforderlich, dass der AGB-Text dem Kunden in verständlicher und lesbarer Form zugänglich gemacht wird. *11 Das Transparenzgebot bezieht sich also auf die inhaltliche Verständlichkeit sowie auf die Lesbarkeit. Die inhaltliche Verständlichkeit und Lesbarkeit sind als Kriterien zur Beurteilung des Transparenzgebots auch in der Rechtssprechung des Estnischen Staatsgerichts verankert worden. *12 Die Rechtsprechung Österreichs hat als Einzelwirkungen des Transparenzgebots das Gebot der Erkennbarkeit und Verständlichkeit, das Gebot, den anderen Vertragsteil auf bestimmte Rechtsfolgen hinzuweisen, das Bestimmtheitsgebot, das Gebot der Differenzierung, das Gerichtigkeitsgebot und das Gebot der Vollständigkeit genannt. *13
Das Erfordernis zur Verständlichkeit der AGB ist vom Grundsatz der Privatautonomie abgeleitet.
Die Verständlichkeit der AGB bedeutet, dass die AGB keine viel zu komplizierte Sätze, ungewöhnliche Wörter, Fachterminologie, deren Kenntnis vom Durchschnittskunden nicht zu erwarten ist, beinhalten darf. *14 Die einzelnen Klauseln müssen in ihrer Formulierung verständlich sein und auch die mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen verdeutlichen. *15 Eine Unverständlichkeit kann gegeben sein, weil die Einsichtnahme in den Vertragstext unmöglich ist, weil der Vertragstext unvollständig oder unleserlich ist, einen unverhältnismäßigen Umfang hat, verwirrend gegliedert oder unübersichtlich aufgebaut, inhaltlich unbestimmt oder widersprüchlich ist, in einer unverständlichen Fachsprache oder in einer unbekannten Fremdsprache abgefasst wurde oder unklare Abkürzungen oder zu komplizierte Regelungen enthält, trotz an sich verständlicher Formulierungen den eigentlichen Vertragsinhalt verschleiert oder die Tragweite seiner Regelungen nicht erkennen lässt. *16 Die Intransparenz kann nicht nur bei einzelner Klausel aus ihrer inhaltlichen Unklarheit, mangelnden Verständlichkeit oder der unzureichender Erkennbarkeit ergeben, sondern auch aus der Gesamtregelung in den AGB. *17
Die Klauseln in den Verbraucherverträgen müssen vollständig sein, das bedeutet zusätzlich den vertraglichen Rechten müssen auch alle aus dem Gesetz ergebenden Rechte dem Verbraucher dargestellt sein. *18 Der Verwender ist gehalten, die Voraussetzungen und Ausschlussgründe für die vertraglichen Leistungen klar, deutlich und vollständig zu beschreiben. Das gilt auch für die deklaratorischen Klauseln, die nur eine gesetzliche Regelung wiederholen. Die Wiedergabe der gesetzeskonformen Regelungen muss prinzipiell auch vollständig und unverkürzt sein. *19 Das Transparenzgebot verbietet es, eine Rechtsunsicherheit zu schaffen, weil dies den Kunden in unzumutbarer Weise belastet. *20 Bedenken in Bezug auf die Verständlichkeit bestehen im Hinblick auf den juristisch ungeschulten Durchschnittskunden auch gegen generelle Verweisungen auf dispositive Gesetzesregelungen oder auf allgemeine gesetzliche Garantieansprüche. *21 Das Verständlichkeitsgebot wird z. B. missachtet, wenn es um salvatorische Klausel („soweit gesetzlich zulässig“ oder ähnliche Formulierungen) geht. *22
Zum Inhalt des Transparenzgebots gehört auch die Lesbarkeit der AGB. Eine bestimmte Mindestschriftgröße oder ein besonderes Druckverfahren ist gesetzlich nicht festgelegt. Der Bereich des Zumutbaren wird erst dann überschritten, wenn die AGB wegen Art oder Größe des Schriftbilds nur mit Mühe zu entziffern sind. *23 Laut der österreichischen Rechtsprechung *24 muss der Text mühelos lesbar sein: die Schrittgröße 5,5 gedruckt ist kaum lesbar und somit intransparent im Sinne des § 6 Abs. 3 KSchG.
Bei der Beurteilung, ob eine Regelung dem Transparenzgebot genügt, ist sich nach den Verständnismöglichkeiten und Erwartungen der typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden zu richten. *25 Dabei ist nicht auf den flüchtigen Betrachter, sondern auf den aufmerksamen und sorgfältigen Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr abzustellen. *26 Weitergehende Kenntnisse und Verständnismöglichkeiten des konkreten Vertragspartners ändern laut der deutschen Rechtsprechung nichts an der Verletzung des Transparenzgebots. *27 In der deutschen Rechtsliteratur ist die Meinung geäußert worden, dass zu den nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB bei der Inhaltskontrolle im Individualprozess zu berücksichtigenden Begleitumstände auch die Kenntnis und Fähigkeit des konkreten Vertragspartners gehören. Ist eine Klausel für den typischen Kunden intransparent, für die konkrete Vertragspartei (z. B. einen Juristen) aber verständlich, kann ihre Unwirksamkeit im Individualprozess nicht mehr aus einer Verletzung des Transparenzgebots hergeleitet werden. *28 Obwohl laut der Meinung einiger Autoren diese Lösung nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstößt *29 , ist diese Auffassung nicht zu unterstützen. Im Verbandsverfahren ist es sowieso möglich, die Transparenz einer Klausel nur von der Verständnismöglichkeit des typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden zu beurteilen. Es gibt keinen besonderen Grund dafür, dass die Ergebnisse der Transparenzkontrolle einer Klausel im Individualverfahren sich von den Ergebnissen derselben Klausel im Verbandsverfahren unterscheiden sollten. Dem effektiven und einheitlichen Schutz der Verbraucherrechte wird mehr beigetragen, wenn man sich nach den Verständnismöglichkeiten der zu erwartenden Durchschnittskunden richtet. Auch in der Rechtsprechung des estnischen Staatsgerichts ist bisher auf das Verständnis einer vernünftigen Person abgestellt worden *30 , obwohl in der Rechtsliteratur auch andere Meinung vertreten worden ist. *31
Im Ergebnis kann man betonen, dass bei der Prüfung des Transparenzgebots die förmlichen als auch inhaltlichen Aspekte der AGB betrachtet werden. Entscheidend ist nicht das subjektive Verständnis und Lesbarkeit der Bestimmung, sondern die Verständnismöglichkeit der zu erwartenden Durchschnittskunden.
2.2. Abgrenzung des Transparenzgebots von den überraschenden Klauseln
In der Klausel-Richtlinie fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung von überraschenden Klauseln. Die innerstaatlich geregelte Erschwerung der Einbeziehung ungewöhnlicher AGB-Klausel ist in der deutschen Rechtsliteratur als Ausprägung des allgemeinen Transparenzgebots verstanden worden *32 , obwohl die Richtlinie darauf nicht hinweist. Im Folgenden wird deswegen untersucht, ob die Abgrenzung der unverständlichen und überraschenden Klauseln in den drei Rechtsordnungen eindeutig ist und ob diese Abgrenzung rechtlich von Bedeutung ist?
Um eine Klausel als überraschend zu beurteilen, muss die Klausel im Hinblick auf den typischen Inhalt des geschlossenen Vertrages aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise nach den Gesamtumständen objektiv ungewöhnlich sein. Hinzu muss kommen in subjektiver Hinsicht die Überraschung des Kunden, der wegen des ungewöhnlichen Charakters des Klauseln und der fehlenden Aufklärung über ihren Inhalt nicht mit ihm rechnete. *33 In der estnischen Rechtsliteratur sind die Ungewöhnlichkeit und die Überraschung einer Klausel voneinander nicht zu unterscheiden und sind als Synonyme zu verstehen. *34
Laut dem deutschen, österreichischen und estnischen Recht ist ein wesentliches Merkmal einer ungewöhnlicher Klausel, dass mit dem der andere Vertragsteil vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte (§ 305c Abs. 1 BGB; § 864a ABGB; § 37 Abs. 3 SchG). Die Ungewöhnlichkeit der Klausel bedeutet einen überraschenden Inhalt oder eine überraschende Einordnung im Vertragstext oder einen anderen überraschenden Moment, die von den berechtigten Erwartungen des Vertragspartners abweichen. *35 Die Ungewöhnlichkeit kann sich aus der Unvereinbarkeit mit dem Leitbild des Vertrages, der Höhe des Entgelts, einem Wiederspruch zum Verlauf der Vertragsverhandlungen oder zur Werbung des Verwenders, einer erheblichen Abweichung vom dispositiven Recht oder von den üblichen Vertragsbedingungen, aber auch aus der Unvereinbarkeit mit dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages ergeben. *36 Zur Beurteilung der Ungewöhnlichkeit ist also einerseits der Inhalt der Klausel zu bewerten. Andererseits kommt es auf die äußeren Umstände, vor allem die Stellung der Klausel in Gesamtgefüge des Vertragstextes an. *37 Außer dem ungewöhnlichen Charakter muss nach dem österreichischen – nicht aber nach dem estnischen und deutschen Recht – die Klausel dem Kunden auch objektiv nachteilig sein. *38
Obwohl vom Begriff her die überraschenden Klauseln von den intransparenten Klauseln zu unterscheiden sind, fällt die Abgrenzung der beiden Klauseln oft schwer, besonders bei der unübersichtlicher Aufbau oder fehlender Gliederung der Klauselwerke. Die Ungewöhnlichkeit als die Unklarheit können sowohl dem Inhalt, der Ausdrucksweise als auch der Darlegungsart einer Klausel nach beurteilt werden. Das ist auch der Grund dafür, dass der estnische Gesetzgeber sowohl die Unverständlichkeit als auch die Ungewöhnlichkeit einer Klausel in § 37 SchG geregelt und einheitliche Rechtsfolgen dazu vorgesehen hat. *39 Ausgehend von der einheitlichen gesetzlichen Regelung der beiden Sachfragen ist in der estnischen Gerichtspraxis das Transparenzgebot und das Verbot überraschender Klauseln schwer voneinander zu unterscheiden. *40 Die Ungewöhnlichkeit einer Klausel wird ebenso wie die Unklarheit objektiv beurteilt, also nach den Erkenntnismöglichkeit des typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden. *41
Die Rechtsfolgen der ungewöhnlichen und intransparenten Klauseln in den vergleichenden Rechtsordnungen sind ähnlich. Die überraschenden Klauseln werden in allen drei Rechtsordnungen nicht Vertragsbestandteil (§§ 305c BGB, 864a ABGB, 37 Abs. 3 SchG). Die intransparenten Klauseln können auch der Inhaltskontrolle unterliegen und wegen der Missbräuchlichkeit auch die Unwirksamkeit der Klausel begründen (im deutschen und österreichischen Recht). Die Rechtsfolgen von Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit sind gleichartig *42 : In beiden Fällen sind die Klauseln dem Verbraucher nicht bindend.
So kann man nicht ausschließen, dass eine intransparente Klausel zugleich einen überraschenden Charakter besitzt und umgekehrt. Das Transparenzgebot und Verbot von überraschenden Klauseln sind beide vom Ziel der Klausel-RL geprägt und dienen dem Schutz der Verbraucher vor den Klauseln, von denen der durchschnittliche Verbraucher wegen der Unklarheit und der Undurchschaubarkeit nicht Kenntnis nehmen kann oder mit denen der durchschnittliche Verbraucher nicht zu rechnen braucht.
3. Transparenzgebot – Teil der Einbeziehungskontrolle oder Inhaltskontrolle?
Die Klauselrichtlinie beinhaltet keine ausdrücklichen Hinweise zu der Frage, ob die unklaren und unverständlichen Klauseln stets bei der Einbeziehungskontrolle der AGB oder bei der Inhaltskontrolle der AGB scheitern sollten. Aus dem Gedanken des Art. 4 der Klausel-RL ergibt sich nur die Forderung, dass dem Transparenzgebot auch die Klauseln betreffend die Preisabreden unterliegen müssen, die der Inhaltskontrolle entzogen sind.
Im Folgenden wird untersucht, auf welcher Ebene die Transparenz der Klausel innerstaatlich geprüft wird, welche rechtlichen Konsequenzen es mit sich bringt und ob die Prüfung der Transparenz im Laufe der Einbeziehungskontrolle (z. B. wie in Estland) im Einklang mit der Richtlinie steht.
Von der Sicht des Kontrollumfangs spielt es keine bedeutende Rolle, ob die Kontrolle des Transparenzgebots als Einbeziehungs- oder Inhaltskontrolle stattfindet. Gemäß Art. 1 Abs. 2 der Klausel-RL unterliegen Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, nicht der Missbrauchskontrolle. Laut der Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie betrifft die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit von Preis und Gegenleistung. Im letzten Fall ist jedoch die Transparenzkontrolle wegen des ausdrücklichen Transparenzvorbehalts in Art. 4 Abs. 2 möglich. *43 So kann man behaupten, dass der Anwendungsbereich der Transparenzkontrolle über die materielle Inhaltskontrolle hinausgeht. *44
In Deutschland hat die Verletzung des Transparenzgebots zur Folge, dass eine inhaltlich unklare Klausel als missbräuchlich angesehen wird: Nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Obwohl es im deutschen Recht an einem expressis verbis Transparenzgebot (im Vergleich zum estnischen Recht) bei der Einbeziehungskontrolle der AGB fehlt, wird in der Rechtsliteratur die Auffassung vertreten, dass das Transparenzgebot doch bei der Einbeziehungskontrolle der AGB zu prüfen ist. Aus § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB ergibt sich, dass AGB für den Kunden verständlich sein müssen. Nur Regelungen, die dem Transparenzgebot entsprechen, werden Vertragsinhalt. *45 Bei der Einbeziehungskontrolle ist vor allem die formelle Unklarheit der AGB entscheidend und erst im Rahmen der Inhaltskontrolle wird die inhaltliche Klarheit und Verständlichkeit der AGB geprüft. *46 Um eine formelle Intransparenz handelt es sich dann, wenn nur solche Klausel intransparent sind, die weder für den Vertragsschluss noch für die Durchführung, Beendigung oder Abwicklung des Vertrages eine relevante Bedeutung haben. *47
Folglich ist die Transparenzkontrolle der AGB im deutschen Recht als Teil der Inhaltskontrolle sowie der Einbeziehungskontrolle zu verstehen. Nach dem in der deutschen Rechtsliteratur vertretenen Standpunkt ist es nicht ausgeschlossen, dass eine mehr oder weniger unklare Bedingung Vertragsbestandteil wird (wenn sie die Kontrolle nach §§ 305 Abs. 2 Nr. 2 und 305c Abs. 1 BGB besteht), aber wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebots als für die andere Partei unangemessen benachteiligend angesehen wird und damit unwirksam ist (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB). *48
In Österreich ist das Transparenzgebot in § 6 Abs. 3 KSchG getrennt von der AGB-Generalklausel des § 879 Abs. 1 ABGB geregelt. Laut § 6 Abs. 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. In Österreich ist es strittig, ob das Transparenzgebot ein Instrument der Einbeziehungs- oder Inhaltskontrolle ist. *49
Im estnischen Recht ist das Transparenzgebot in § 37 Abs. 3 SchRG verankert worden und es ist nur als Einbeziehungshindernis zu verstehen. *50 Laut § 37 Abs. 3 SchRG wird eine AGB-Klausel, deren Inhalt, Ausdrucksweise oder Darlegungsart so ungewöhnlich oder unklar ist, dass die andere Vertragspartei das Vorhandensein dieser Klausel im Vertrag nach den Grundsätzen der Vernunft nicht erwarten oder diese Klausel ohne wesentliche Anstrengung nicht verstehen konnte, nicht zum Inhalt des Vertrages.
Angesichts des Umstands, dass im estnischen Recht ein ausdrückliches Transparenzgebot bei der Inhaltskontrolle von AGB fehlt, ist in der europäischen Rechtsliteratur die Meinung geäußert worden, dass das sich aus der Richtlinie ergebende Transparenzgebot im estnischen Recht mangelhaft umgesetzt worden sei. *51 Deswegen ist m Folgenden zu untersuchen, ob die estnische Transparenzregelung in § 37 Abs. 3 SchG die Anforderungen der Klausel-RL entspricht.
Artikel 5 Satz 1 der Richtlinie legt Folgendes fest: „Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein.“ Wenn man diese Vorschriften vergleicht, wird es zuerst klar, dass die estnische Regelung teilweise sogar verbraucherfreundlicher ist als die Richtlinie, da das Transparenzgebot im estnischen Recht auf alle Vertragsklausel anwendbar ist, d. h. auch auf solche Klausel, die nicht schriftlich niedergelegt worden sind.
Zweitens muss man im Auge behalten, dass die Folgen der Verletzung des Transparenzgebots in der Richtlinie nicht ausdrücklich vorgeschrieben worden sind. Insbesondere ist in der Richtlinie nicht vorgesehen, dass die Folge der Verletzung des Transparenzgebots die Unwirksamkeit der AGB-Klausel sein sollte. *52 Deswegen werden zu der Frage, welche Folgen aus der Verletzung des Transparenzgebots abgeleitet werden müssen, drei verschiedene Meinungen vertreten, nämlich dass: (i) die Mitgliedstaaten das Recht haben, frei über die Folgen zu entscheiden; (ii) die Verletzung des Transparenzgebots als Einbeziehungshindernis anzusehen ist; sowie dass (iii) aus der Intransparenz eine unangemessene Benachteiligung folgt. *53
Folglich schreibt die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht vor, dass die Kontrolle der Transparenz auf der Ebene der Inhaltskontrolle stattfinden sollte und dass eine intransparente Klausel als missbräuchlich angesehen werden muss. So wird in mehreren Mitgliedstaaten – wie auch in Estland – die Transparenz nur bei der Einbeziehungskontrolle der AGB geprüft. *54 Letztendlich gibt es auch keinen praktischen Unterschied, ob das Gericht die Klausel im Rahmen von Inhalts- oder Einbeziehungskontrolle prüft: Bei der Verletzung des Transparenzgebots gilt die betreffende Klausel nach dem estnischen Recht nicht als Bestandteil des Vertrags, nach dem deutschen Recht kann eine intransparente Klausel entweder nicht als Bestandteil des Vertrags gelten (305 Abs. 2 Nr. 2 BGB) oder nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB missbräuchlich und daher unwirksam sein. Das Endergebnis ist aber in beiden Rechtsordnungen das Gleiche – intransparente Klauseln sind sowohl nach dem estnischen als auch dem deutschen Recht für den Verbraucher nicht bindend. Genau dasselbe gilt für das österreichisches Recht (§ 6 Abs. 3 KSchG).
Die Richtlinie verlangt ferner, dass das Transparenzerfordernis auch auf die Preisabreden anwendbar ist. Während die Klauseln, die das Hauptgegenstand des Vertrages betreffen oder unmittelbar auf die Bestimmung der Art und Höhe des Entgelts gerichtet sind, von der Inhaltskontrolle ausgeschlossen sind, unterliegen diese Klauseln jedoch dem Transparenzgebot (Art. 4 Abs. 2 Klausel-RL). *55 Auch dieses Erfordernis ist im estnischen Recht erfüllt: Das in § 37 Abs. 3 SchG verankerte Transparenzgebot ist – anders als die Missbrauchskontrolle (§ 42 Abs. 2 SchG) – auf das Hauptgegenstand des Vertrags und das Wertverhältnis anwendbar. *56
Obwohl formalrechtlich das estnische Recht mit der Richtlinie im Einklang steht, liegt das inhaltliche Problem bei der Prüfung der Transparenz nur bei der Einbeziehungskontrolle unseres Erachtens darin, dass laut § 45 Abs. 1 SchG im Verbandsverfahren nur die Missbräuchlichkeit – nicht aber das Transparenz oder die Überraschbarkeit – der AGB bewertet werden kann. Zwar verlangt die Richtlinie gem. Art. 7 Abs. 1 nur, dass es möglich sein muss, die missbräuchliche Klauseln in Verbandsverfahren anzugreifen. *57 Die Autoren wollen aber im Folgenden zeigen, dass zum Zweck des effektiven Verbraucherschutzes auch die Transparenz der AGB-Klauseln im Verbandsverfahren überprüfbar sein sollte.
4. Die Kontrolle des Transparenzgebots im Verbandsverfahren
Die Wirksamkeitskontrolle der AGB kann sowohl im Individualverfahren als auch im Verbandsverfahren stattfinden. Art. 7 Abs. 2 Klausel-RL, der die Einführung von Verbandsklagen und vergleichbaren Rechtsbehelfen zur Entscheidung über die Missbräuchlichkeit von AGB vorsieht, ist in Estland durch § 45 SchG und durch das Verbraucherschutzgesetz *58 (VSchG), in Deutschland durch das Unterlassungsklagengesetz *59 (UKlaG) und in Österreich durch die §§ 28-29 KSchG umgesetzt worden. Nach diesen Rechtsakten sind bestimmte durch das Gesetz vorgesehene Organisationen berechtigt, im Gerichtswege die Unterlassung der Verwendung einer unangemessen benachteiligenden AGB-Klausel, sowie vom Empfehler einer solchen AGB-Klausel die Beendigung des Empfehlens und die Rücknahme der Empfehlung zu verlangen. Unterschiede bestehen allerdings sowohl hinsichtlich der zur Erhebung einer Verbandsklage berechtigten Personen als auch der Effizienz dieser Verfahren. Sowohl in Estland *60 als auch in Deutschland *61 und in Österreich *62 sind zur Erhebung von Verbandsklagen verschiedene Verbraucher- und Unternehmerverbände berechtigt. Außer Verbraucherverbänden steht nach dem estnischen Recht auch dem Verbraucherschutzamt, d. h. einer für den Schutz der Verbraucher gegründeten staatlichen Behörde, die Möglichkeit zur Erhebung einer Verbandsklage zu (§ 17 Abs. 2 Nr. 8 VSchG). *63
Während in Deutschland *64 und Österreich *65 die Erhebung einer Verbandsklage auf Unterlassung der Verwendung von missbräuchlichen und/oder intransparenten AGB-Klauseln in der Praxis sehr verbreitet und die Rechtsprechung teilweise schon unübersichtlich geworden ist, wird diese Möglichkeit in Estland ungeachtet der bestehenden gesetzlichen Voraussetzungen praktisch nicht genutzt. Obwohl der estnische Gesetzgeber die Möglichkeit zur Erhebung einer Verbandsklage mehreren Institutionen gewährt hat, haben sowohl die estnischen Verbraucherverbände als auch das Verbraucherschutzamt diese Möglichkeiten de facto nicht aufgegriffen. Das Verbraucherschutzamt hat während der gesamten neunjährigen Geltung der Bestimmungen über allgemeine Geschäftsbedingungen kein einziges Mal eine Unterlassungsklage betreffend missbräuchliche Klauseln bei Gericht eingelegt. *66
Folglich ist es nach dem estnischen Recht möglich, die Missbräuchlichkeit der AGB in Verbandverfahren zu überprüfen, nur ist von dieser Möglichkeit bisher leider keinen Gebrauch gemacht worden. Was die Prüfung der Transparenz der AGB betrifft, ist die rechtliche Situation aber anders: Nach § 45 SchG ist es im Rahmen des Verbandverfahrens nämlich nur möglich, die missbräuchliche Klauseln anzugreifen und deren Verwendung zu verbieten. Ob eine Klausel aber intransparent ist, d. h. ob eine Vertragsbestimmung nach § 37 Abs. 3 SchG überhaupt Vertragsbestandteil geworden ist, kann nach dem geltenden estnischen Recht im Verbandsprozess nicht geprüft werden.
Dagegen ist in Deutschland und in Österreich das Transparenzgebot gerade in Verbandsverfahren ein sehr oft benutzbares und effektives Verbraucherschutzinstrument. In diesen Mitgliedstaaten sind die Verbraucherverbände aktiv mit der Erhebung von Verbandsklagen beschäftigt; in einem Verbandsverfahren werden normalerweise mehrere – oder sogar mehrere Zehnte – Vertragsbestimmungen des Vertragswerkes eines Unternehmens angegriffen. Es ist nicht selten der Fall, dass viele von solchen Vertragsklauseln gerade wegen der fehlenden Transparenz von dem Gericht als unzulässig erklärt werden. Zum Beispiel hat man 2007 in Österreich die Klauselwerke von 25 Heimträgern aus allen Bundesländern überprüft; dabei hat man in 54% Verstoß-Fällen die fehlende Transparenz festgestellt. *67 Ein weiteres und sehr illustratives Beispiel bietet auch ein Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2011. *68 In dieser Rechtssache hat ein Konsumentenschutzverein eine Verbandsklage gegen einen Leasingunternehmen erhoben und die Verbietung von 34 Leasingvertragsklauseln beantragt. Im Ergebnis haben 12 von diesen Klauseln gerade an die fehlende Transparenz gescheitert.
Intransparente Vertragsklauseln sind auch den estnischen Klauselwerken nicht fremd; leider ermöglicht das estnische Recht – wie oben vorgelegt – zur Zeit nur das Angreifen der intransparenten Klauseln im Individualverfahren. Die Schutzmöglichkeiten der estnischen Verbraucher würden aber erheblich erhöht, wenn es auch in Estland möglich wäre, die Verwendung solcher unklaren AGB-Bestimmungen in Verbandsverfahren für unzulässig zu erklären. Um den von der Richtlinie bezweckten effektiven gerichtlichen Schutz zu gewährleisten, sollte es daher nach der Auffassung der Autoren möglich sein, die Transparenz einer Klausel auch im Verbandsverfahren zu prüfen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten, die jeweils eines Eingreifens des estnischen Gesetzgebers bedürfen: (i) die Prüfung der Transparenz auf Ebene der Inhaltskontrolle einzuführen; oder (ii) die Änderung des § 45 SchG in der Weise, dass es im Verbandsverfahren möglich wäre, die Unterlassung der Verwendung missbräuchlicher sowie intransparenter ABG-Klauseln zu verlangen. Nach der Auffassung der Autoren ist die zweite Alternative zu bevorzugen und nicht die Transparenzprüfung auf die Ebene von Inhaltskontrolle zu verlegen.
5. Schlussfolgerungen
Das Transparenzgebot bezieht sich sowohl auf die förmlichen als auch auf die inhaltlichen Aspekte der nicht im Einzelnen ausgehandelten Klauseln. So wird die Wirksamkeit dieser Klauseln in vielen Fällen schon bei der Prüfung der Transparenz scheitern und die Kontrolle der weiteren Missbräuchlichkeit dieser Klauseln ist daher nicht erforderlich. Die Rechtsfolgen des Transparenzgebots sind in der Klausel-RL nicht geregelt worden und unterliegen deshalb der Diskretion der Mitgliedsstaaten. Folglich ermöglicht die Klausel-RL die Transparenzkontrolle der nicht im Einzelnen ausgehandelten Klauseln sowohl auf der Ebene der Einbeziehungs- als auch auf der Inhaltskontrolle. In Estland wird die Transparenz der AGB-Klauseln auf der Einbeziehungsebene geprüft: Dies ist richtlinienkonform und die Regelung sollte nach der Auffassung der Autoren nicht geändert werden.
Die Erfahrungen von der deutschen und österreichischen Rechtsprechung zeigen, dass das Transparenzgebot ein sehr effektives Verbraucherschutzinstrument der AGB-Kontrolle darstellt und dies sowohl in Individual- als auch in Verbandsverfahren. Nach dem heutigen estnischen Recht ist die Prüfung von Transparenz der AGB-Klauseln aber nur im Rahmen von Individualverfahren möglich: In Verbandsverfahren kann nur die Missbräuchlichkeit, nicht aber die fehlende Transparenz der AGB-Klauseln festgestellt werden. Um den von der Klausel-RL bezweckten effektiven Schutz von Verbrauchern zu gewährleisten, sollte nach der Auffassung der Autoren eine Gesetzesänderung vorgenommen werden, so dass die Prüfung der Transparenz von AGB-Klauseln zukünftig auch im Verbandsverfahren möglich wird. Die Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus wird jedoch erst dann erreicht, wenn von den Möglichkeiten der Verbandsklage im Praxis auch tatsächlich Gebrauch gemacht wird.
pp.59-67