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JURIDICA INTERNATIONAL. LAW REVIEW. UNIVERSITY OF TARTU (1632)

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20 years of the Estonian Constitution

XIX/2012
ISBN 978-9985-870-29-7

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Die schuldhafte strafrechtliche Verantwortung der juristischen Person. Theoretische Grundlagen und estnische Gerichtspraxis

1. Einleitung. Allgemeine Grundlagen der Verantwortlichkeit

1.1. Über die Entstehungsgeschichte

Mit der ersten Strafrechtsreform nach der Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit Estlands im Jahre 1992 wurde ein Hauptzweck berücksichtigt, das totalitäre sowjetische Strafrecht zu bewältigen. Unter anderen Änderungen wurden die ersten Schritte in die Richtung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der juristischen Personen vorgenommen. Nach dem Muster des deutschen Strafrechts hat die Verantwortlichkeit in den Rahmen des Ordnungswidrigkeitsrechts (nach der damaligen Bezeichnung „Verwaltungsstrafrecht“) eine Lösung gefunden, während das Strafrecht nur die Strafbarkeit der natürlichen Personen ausschließlich im Strafgesetzbuch wegen der Verbrechen vorgesehen hatte. *1 Der Allgemeine Teil des OWiG enthielt aber keine Bestimmungen betreffend der Grundlagen und Grenzen der Verantwortlichkeit der juristischen Personen; es gab nur die entsprechenden Tatbestände im Besonderen Teil, so dass es tatsächlich eher um eine objektive Verantwortung ging.

Die Frage der Strafbarkeit der juristischen Personen aktualisierte sich während der Vorbereitung der Strafrechtsreform 2002. Da die genannte Reform einen Zweck hatte, nach dem Muster des französischen Strafrechts alle strafbaren Taten – wie die Ordnungswidrigkeiten so auch die Verbrechen – mit der Regelung des Allgemeinen Teils des Strafrechts umzufassen, hatten auch die Grundlagen und Grenzen der Verantwortlichkeit der juristischen Personen auf ihre Lösung gewartet. Das am 1.09.2002 in Kraft getretene StGB hat erstmalig die entsprechenden Bestimmungen vorgesehen, wonach die Strafe gleich wegen der Ordnungswidrigkeiten und Verbrechen bedroht. *2 Nach dem § 14 StGB wird eine juristische Person wegen der Tat bestraft, wenn die Tat in ihrem Interesse und von ihrem Organ, dessen Mitglied, von ihrem Leitungsfunktionär (leitender Person) oder vom zuständigen Vertreter begangen wurde. Die Verantwortlichkeit wird nicht dem Staat, der kommunalen Verwaltung und öffentlich-rechtlichen juristischen Person angewandt. Die Bestrafung der juristischen Person schließt nicht die Bestrafung der natürlichen Person aus. Die Regelung beruht auf der Lösung des französischen Code pénal von 1994 als damals auf einem von den modernsten Strafgesetzbüchern Europas. *3 Neben den obengenannten Zurechnungskriterien gibt das StGB im § 37 die allgemeinen Grundlagen der Schuld der juristischen Person, wonach die juristische Person wegen ihrer Rechtsfähigkeit gleichzeitig schuldfähig ist.

1.2. Spezialitäts- oder Universalitätsprinzip?

Die allgemeinen Grundlagen der Verantwortlichkeit der juristischen Personen realisieren sich in der Strafbarkeit wegen der konkreten Straftat durch das Spezialitätsprinzip. Laut des § 14 Abs. 1 StGB wird die juristische Person nur in den im Gesetz direkt vorgeschriebenen Fällen bestraft, was gesetzestechnisch sich in jedem entsprechenden Tatbestand des Besonderen Teils durch eine Bestimmung … wegen derselben Tat, wenn sie durch die juristische Person begangen ist… äußert.

Das Spezialitätsprinzip ist zwar für den Anwender des Gesetzes hilfereich, da keine Notwendigkeit besteht, in jedem konkreten Fall über die Möglichkeit der Bestrafung der juristischen Person zu entscheiden. Jedoch gibt diese Lösung keine Richtlinien für den Gesetzgeber, wodurch seinerseits die Einführung der Strafbarkeit keine bestimmten Kriterien enthält und deswegen unter der Zufälligkeit leidet.

Aus den oben beschriebenen Erwägungen wird im Justizministerium ein Gesetzesentwurf mit dem Vorschlag vorbereitet, auf das Spezialitätsprinzip zugunsten des Universalitätsprinzips zu verzichten. *4 Das würde bedeuten, dass die juristischen Personen gleich der natürlichen für alle Taten strafbar wären – eine Lösung, die durch den Gesetzgeber der Niederlande, des Belgiens, Finnlands, Norwegens, Großbritanniens u. a. schon betroffen ist. *5 Der Schwerpunkt wird dadurch von dem Gesetzgeber auf die Rechtspraxis übertragen, die in jedem konkreten Fall (und nicht ohne die aus der Strafrechtsdogmatik stammenden Erwägungen) entscheiden soll, ob die Strafbarkeit der Tat auch bei der juristischen Person tatsächlich möglich ist. Zugleich sind die Probleme des Bestimmtheitsgebots nicht ausgeschlossen, da die Anwendung des konkreten Tatbestands zu viel Raum für die – und möglicherweise sehr weite – Auslegung bereitet. Aus der Seite des Unrechtsbewusstseins können weiter die Fragen vorkommen, ob man schon aufgrund des Strafgesetzes überhaupt entscheiden kann, ob es um eine verbotene oder zulässige Tat geht. Vor allem im Bereich der Wirtschaftskriminalität bedroht diese Lage eine große Belastung auf den Verbotsirrtum (§ 39 StGB) aufzulegen.

2. Anknüpfungstat und die Zurechnung der Tat der natürlichen Person zu der juristischen Person

2.1. Nur durch die natürliche Person

Die estnische Gerichtspraxis hat vielmal den Standpunkt geäußert, dass die primäre Voraussetzung der Verantwortung, also der Zurechnung der Tat für die juristische Person nur durch die sog persönliche Verbindung, die Anknüpfungstat der natürlichen Person ist. *6 Diese Tat muss ihrerseits allen Forderungen der Strafbarkeit der Tat nach dem StGB entsprechen – tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft sein (§ 2 Abs. 2 StGB). *7

Nach der Theorie „der leitenden Vernunft“ kann die obengenannte natürliche Person vor allem ein Leitungsfunktionär, also die Person sein, die die Tätigkeit der juristischen Person bestimmt oder dazu beiträgt. Nach dem Vorbild des französischen Code pénal schreibt auch § 14 Abs. 1 des estnischen StGB vor, dass neben dem Organ als direkten Täter auch der Anknüpfungstäter ein Leitungsfunktionär sein kann. *8

Damit vereinigt das estnische Strafrecht sich mit der zivilrechtlichen Anschauung, dass die juristische Person an sich als eine bloße Fiktion durch ihre Vertreter tätig ist. *9 Ebenso ist nach dem § 31 Abs. 5 die Tätigkeit des Organs der juristischen Person als die Tätigkeit der juristischen Person zu sehen.

Neben dem Organ oder seinem Mitglied kann nach dem estnischen Strafrecht die strafrechtliche Verantwortung der juristischen Person auch auf der Tätigkeit des Leitungsfunktionärs beruhen. Wenn der Begriff des Organs im Strafrecht aus dem Zivilrecht stammt, hat der Begriff des Leitungsfunktionärs eine reine strafrechtliche Herkunft. Die Anwendung dieses autonomen strafrechtlichen Begriffs beruht auf der Notwendigkeit, die so genannte delegierte Verantwortungslosigkeit zu vermeiden, wenn die für die juristische Person wesentlichen Entscheidungen von der Person getroffen sind, die zwar leitende Stellung in der Korporation hat, aber kein Mitglied des Organs ist. Der Leitungsfunktionär kann Direktor, Abteilungsleiter oder andere, in den für die juristische Person wichtigen Tätigkeitsbereiche leitend wirkende Person sein. Dabei muss man aus der Sicht der Identifikationstheorie ausgehend feststellen, dass die Tätigkeit dieser Person mit der Tätigkeit der Korporation als gleiches anzusehen ist. *10

Estnisches Staatsgericht hat dem obengenannten Standpunkt bestätigend erklärt, dass insbesondere bei den großen Korporationen verständlicherweise die Leitungsorgane nicht alle alltägliche Fragen lösen brauchen, sondern solche Zuständigkeit weiter auf die anderen Ebenen vertrauen können. Die auf diesen mittleren Ebenen betroffenen Entscheidungen wurden mit der Tätigkeit der leitenden Person gleichgestellt. *11 Dabei hat das Staatsgericht aber immer betont, dass die Tat der entsprechenden natürlichen Person – eine Entscheidung für die konkrete Handlung – sich eine unvermeidbare Voraussetzung der Strafbarkeit der juristischen Person darstellt. *12

Die Bestrafung der juristischen Person wurde demgemäß wegen der Tat ihres gewöhnlichen Arbeiters unmöglich. Die Anwendungspraxis des StGB hatte aber bald gezeigt, dass es ganz oft Fälle gab, wenn die Durchschnittsarbeiter die Taten im Interesse der juristischen Person begangen haben. Erstmals stand das Staatsgericht vor diesem Problem in einem Fall, wo es um eine Werbung des Glückspiels ging. Die Ordnungswidrigkeit – eine Ausstellung der Werbung außerhalb des Kasinos – wurde durch einen Arbeiter begangen, verurteilt wurde aber das Kasino als juristische Person. Im Amtsgericht (1. Instanz) wurde ein freisprechendes Urteil gefallen mit der Begründung, dass keine natürlichen Personen festgestellt waren, die die Werbung ausgestellt hatten. Staatsgericht ließ das Urteil in Kraft und betonte nochmal, dass die Verantwortung der juristischen Person nur von der Tat der natürlichen Person ausgehen kann. Dadurch hat das Staatsgericht zugestanden, dass die Strafbarkeit auch in den Fällen zu bejahen ist, wo die Tat zwar durch einen Durchschnittsarbeiter begangen wurde, aber nur durch eine Genehmigung oder Verfügung des Organs oder des Leitungsfunktionärs zustande gekommen ist. *13

Wirklich muss man annehmen, dass die Ausstellung der Werbung eine Tätigkeit ist, die kaum von dem Leitungsfunktionär eigenhändig ausgeübt wird. Deswegen kann die Gerichtsentscheidung so ausgelegt werden, dass es gerecht ist, die Grenzen der Strafbarkeit der juristischen Person zu erweitern und als Anknüpfungstäter auch den Durchschnittsarbeiter zu sehen. Rechtsdogmatisch ist diese Lösungsgang mit der Figur der mittelbaren Täterschaft begründbar, und zwar in zwei Konstellationen – zum einen, wenn es um einen vorsatzlos oder im Verbotsirrtum (schuldlos) handelnden Werkzeug geht, und zum zweiten kann die juristische Person eine Tatherrschaft mittels organisatorischer Machtapparate erreichen. *14 Die Anwendung einer bloßen Identifikationstheorie kann zur Verantwortung der Korporation nicht führen, da die Tätigkeit des Durchschnittsarbeiters an sich der Tätigkeit der juristischen Person nicht gleichgestellt werden kann; dagegen führt eine Genehmigung oder Verfügung des Organs oder des Leitungsfunktionärs zur Tatherrschaft der juristischen Person und dadurch weiter zur Identifikation der Tätigkeit des Durchschnittsarbeiters mit der Tätigkeit der Korporation.

Mit der Gesetzesänderung vom 19.06.2008 (in Kraft ab dem 28.07.2008) wurden die Grundlagen der Verantwortlichkeit der juristischen Person wesentlich erweitert. *15 Es geht um ein neues Subjekt der Anknüpfungstat, nämlich um den zuständigen Vertreter der juristischen Person. Gewiss ist die Vertretung ein zivilrechtlicher Begriff, der unmittelbar mit dem zivilrechtlichen Geschäft gebunden ist. Da das Geschäft keinesfalls als Gegenstand der strafrechtlichen Regelung sein kann, entsteht hierbei eine unvermeidliche Frage, um welche Vertretung es geht? Es liegt außer Zweifel, dass die Strafbarkeit als strafrechtliche Verantwortlichkeit nur streng individuell sein kann und im Unterschied zum Zivilrecht die Verantwortung einer Person für die Handlung der anderen völlig ausgeschlossen ist (z. B. § 1054 des Schuldrechtgesetzes). Zwar kennt das Strafrecht die dogmatischen Figuren der Mittäterschaft und mittelbaren Täterschaft, die aber in Rahmen der individuellen Verantwortung bleiben und keinen Raum für die Vertretung und das Geschäft lassen. Deswegen kann man die Gesetzesänderung kaum als gelungen halten, abgesehen von den Schwierigkeiten mit der schuldhaften Zurechnung. Jedenfalls hat man mit dem Begriff des zuständigen Vertreters vom Grundsatz abgesagt, dass der Anknüpfungstäter eine von den Personen sein muss, die den Willen der juristischen Person äußern und ihre Tätigkeit gestalten. *16

Die obligatorische Anknüpfungstat der natürlichen Person bedeutet keine Mittäterschaft oder Teilnahme der natürlichen Person an der Straftat der juristischen Person. *17 Es geht um die parallele Verantwortung der beiden Personen, die keine Doppelbestrafung bedeutet und einen Zweck hat, die Möglichkeit des Mitglieds des Organs oder des Leitungsfunktionärs auszuschließen, seine Tat hinter den Schirm der juristischen Person zu decken und die Bestrafung zu vermeiden. Dieses Grundsatz ist schon in der Rekommandation der Europäischen Union enthalten (Beilage, P I.5). *18

Das Prinzip der derivativen Verantwortung erweitert sich nicht auf den Strafprozess – die Einstellung des Verfahrens betreffend der natürlichen Person durch die Opportunität (§ 202 ff der estnischen StPO, § 153a der deutschen StPO) oder z. B. wegen ihres Todes schließt eine Weiterführung des Verfahrens betreffend der juristischen Person nicht aus. *19

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Verantwortung der juristischen Person nur durch das Miteinbeziehen der natürlichen Person, also nicht ohne derivative Verantwortung möglich ist. Dabei betont das Staatsgericht zwar, dass die Verantwortung der natürlichen Person vorangehen sollte und die juristische Person nur ausnahmsweise zur Verantwortung gezogen werden kann. Diese Lösung gewährleistet eine klare Verbindung mit dem bisherigen strafrechtlichen Denken – dass die Strafbarkeit im Strafrecht ohne volldeliktisch handelnde natürliche Person unmöglich ist. *20

2.2. Die Tat im Interesse der juristischen Person

Weitere Voraussetzung für die Zurechnung der Tat der natürlichen Person ist die Forderung, dass die Anknüpfungstat im Interesse der Korporation begangen wurde. Die Begrenzung beruht auf der Notwendigkeit, die Verantwortlichkeit der juristischen Person in den Fällen auszuschließen, welche außerhalb der Tätigkeitssphäre der Korporation bleiben. *21 Der Begriff im Interesse der juristischen Person ist ausweitend auszulegen; es reicht die Berücksichtigung der Zweck, die Tätigkeit oder den Zustand der Korporation zu bessern oder weiterzuentwickeln, ohne dabei die konkrete Gewinne oder Vorteile festzustellen. Das Staatsgericht hat in diesem Bezug betont, dass man sich beim Feststellen der Interessen keinesfalls mit dem Vermögensvorteil beschränken muss und es um die Interessen gehen kann, die außerhalb der in das Handelsregister eingetragenen Tätigkeitsgebiete bleiben. Zwar ist es notwendig im Gerichtsurteil zu zeigen, in welcher Weise die Anknüpfungstat die Interessen der Korporation äußert. *22 Die Interessen der juristischen und unmittelbar handelnden natürlichen Person können übereinstimmen, wobei diese Fälle sich eher keine Ausnahme, sondern eine Regel darstellen. *23

Rechtsdogmatisch ist zu beachten, dass das Interesse der juristischen Person kein selbständiges Element der Deliktsstruktur, sondern ein Element des Tatbestandes ist, das aus der objektiven Seite die Tat beschreibt, aus der subjektiven Seite aber vom Vorsatz der Anknüpfungstäter umgefasst sein muss. *24 Wenn die Handlung im Interesse der juristischen Person zum Tatbestand gehört und auf der Ebene der Rechtswidrigkeit keine Sonderprobleme auftauchen, dann kommt man zur Frage der schuldhaften Seite der strafrechtlichen Haftung der juristischen Person. Auf der Tatbestandsebene wurde gezeigt, dass in gewissen Fällen trotz der Forderung der volldeliktischen Anknüpfungstat noch etwas zusätzliches aus der Seite der juristischen Person, genauer von ihrem Organ oder dem Leitungsfunktionär zukommen muss – nämlich eine die Tatherrschaft begründende Genehmigung oder Verfügung zu der Tat des Durchschnittsarbeiters. Dieser doppelgeschichtete Charakter des Tatbestandes wirft die Frage auf, reicht es auf der Schuldebene ebenso nur von der Schuld der unmittelbar wirkenden Person oder müssen dazu noch die zusätzlichen Schuldmerkmale zukommen?

3. Schuldprinzip und Zurechnung

3.1. Schuldprinzip im estnischen Strafrecht und Eigenart der juristischen Person

In der Praxis ist noch nicht die Frage aufgetaucht, ob das Schuldprinzip als eine Voraussetzung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu den grundgesetzlichen Prinzipien gehört oder nicht. Jedenfalls wird in § 22 des Grundgesetzes Estlands gesagt, dass niemand als eines Verbrechens schuldig betrachtet werden darf, solange nicht ein schuldigsprechendes Gerichtsurteil gegen ihn Rechtskraft erlangt hat. *25 Das § 2 Abs. 2 StGB enthält das Schuldprinzip: die Tat ist nur strafbar, wenn sie tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft ist. § 32 Abs. 1 verlangt, dass die Person nur dann bestraft werden kann, wenn sie eine rechtswidrige Tat schuldhaft begangen hat.

Da das Deliktsstruktur des StGB keinen Unterschied zwischen den natürlichen und juristischen Personen macht, kann man davon eindeutig folgern, dass auch die Bestrafung der juristischen Person ohne schuldhafte Tat unmöglich ist. Die Schuldfähigkeit ausschließenden Umstände im Kapitel 2 Abschnitt 3 StGB gelten deswegen formell sowohl für die natürliche als auch für die juristische Person. Tatsächlich gibt es da nur einen die Schuldfähigkeit ausschließenden Umstand, nämlich sagt § 37 a contrario, dass eine juristische Person schuldfähig ist, wenn sie rechtsfähig ist. Privatrechtliche juristische Person bekommt eine Rechtsfähigkeit mit dem Eintragen in das Register, öffentlich-rechtliche juristische Person aber während der im Gesetz vorgeschriebenen Zeit (§ 26 des Gesetzes des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuches). Die Schuldfähigkeit der natürlichen Person besteht in der Zurechnungsfähigkeit (z. B. §§ 34-35: geistiger Zustand des Täters) und in den schuldausschließenden Gründen (z. B. § 39 Verbotsirrtum u. a.). *26

Wenn man streng bei der Anknüpfungstat der natürlichen Person bleibt, kann man ohne weiteres feststellen, dass die Schuldhaft der Tat der juristischen Person sich in den Schuldmerkmalen der natürlichen Person völlig erschöpft. Die zusätzlichen Tatbestandsmerkmale leiten aber zur Frage, ob auch die Schuldfrage zweifach gestellt werden soll; oder anders gefragt – reicht die Schuld der natürlichen Person wirklich aus, um über die Schuld der juristischen Person zu sprechen?

Hier ist grundsätzlich mit H. J. Hirsch zuzustimmen, dass für die Verbandsschuld die Schuld eines für sie handelnden Organs eine notwendige Voraussetzung ist, aber gleichzeitig müssen noch die gesetzwidrigen Schritte des Organs auch für den Verband vermeidbar sein. *27

Neben der Vermeidbarkeit der Anknüpfungstat als der allgemeinen Schuldvoraussetzung ist allerdings zu prüfen, ob und in welcher Weise die Schuld des Anknüpfungstäters als Schuld der juristischen Person von den spezifischen Zügen des Täters abhängig ist.

3.2. Schuldhafte Zurechnung im Bezug zum Subjekt

Vermeidbarkeit der Tat und Unrechtsbewusstsein des Täters als allgemeine Schuldmerkmale der natürlichen Person reichen völlig aus, wenn die Anknüpfungstat durch das Organ, sein Mitglied oder einen Leitungsfunktionär begangen wurde. Die genannte Person äußert den Willen und die Rechtsfähigkeit der juristischen Person und ihre im Interesse der juristischen Person begangene Tat ist ohne weiteres der juristischen Person zuzurechnen. Eine solche Auffassung wurde beim Inkrafttreten des StGB als Grundlage der Verantwortlichkeit der juristischen Person festgelegt (siehe auch oben Zf. 2.1).

Wenn eine rechtswidrige Handlung für das Organ oder dem Leitungsfunktionär der juristischen Person vermeidbar war und damit die Schuldvoraussetzung erfüllt ist, wird die Tat der juristischen Person zugerechnet. Aber wenn der zuständige Vertreter und der Durchschnittsarbeiter in Rahmen ihrer Vertretungszuständigkeit oder der Arbeitsaufgaben tätig sind, werden sie zwar als im Interesse der juristischen Person wirkende Personen betrachtet, aber kann man auch ihre rechtswidrige Tat als Anknüpfungstat für die Verantwortlichkeit der juristischen Person sehen? Aus einer Seite kommt diese Folgerung expressis verbis von dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 (zuständiger Vertreter) und von der Praxis des Staatsgerichts (Durchschnittsarbeiter) hervor, aus der anderen Seite kommt man jedoch zur Frage, wie können die Personen, die keinen Willen der Korporation äußern und ihre Tätigkeit nicht bestimmen, die Schuld der Korporation begründen?

Die Tat des Durchschnittsarbeiters wird der juristischen Person wie gewöhnlich bei der mittelbaren Täterschaft zugerechnet – gleich, ob es um den ohne den Vorsatz handelnden Vordermann oder um die organisatorische Tatherrschaft geht. Wie oben gesagt, führt eine Genehmigung oder Verfügung des Organs oder des Leitungsfunktionärs zur Tatherrschaft der juristischen Person und dadurch weiter zur Identifikation der Tätigkeit des Durchschnittsarbeiters mit der Tätigkeit der Korporation. Und umgekehrt – ohne Genehmigung oder Verfügung handelnder Durchschnittsarbeiter kann nur persönlich als eine natürliche Person zur Verantwortlichkeit gezogen werden, obwohl sie sogar die Tat zugunsten der juristischen Person begangen hat.

Kaum kann man aber beim zuständigen Vertreter die Schuldhaftigkeit der Tat der juristischen Person durch die mittelbare Täterschaft begründen. Die Vertretung an sich bildet keine Vermeidbarkeit der Tat der juristischen Person und ist deswegen für ihre Schuld unzureichend, obwohl die Tat im Interesse der juristischen Person begangen wurde. In der Literatur wird behauptet, dass in solchen Fällen die minimale Voraussetzung der Schuld darin besteht, dass die juristische Person (ihr Organ oder Leitungsfunktionär) wissen sollte, dass die Tat des Vertreters rechtswidrig ist. Ohne weiteres kann man über die Schuld der Korporation sprechen, wenn die Tat des Vertreters auf einer Anordnung von der Seite des Organmitgliedes oder Leitungsfunktionärs beruht; ebenso, wenn der Vertreter seine Tat mit der Leitung der Korporation in Einklang gebracht hat. Die Übereinstimmung muss nicht unbedingt vor der Tat vorhanden sein, aber bestimmt nicht später als während der Tatbegehung. Dagegen findet keine Verantwortung der juristischen Person wegen des Fehlens ihrer Schuld statt, wenn der Vertreter die Tat ohne Zustimmung der Leitung in der Hoffnung begeht, dass sie seine Tat danach gutheißt. *28

Die gebrachten Erwägungen sind auch für den Durchschnittsarbeiter gültig, wenn seine Tat nicht aufgrund der mittelbaren Täterschaft der juristischen Person zugerechnet wird.

3.3. Die Strafbarkeit beim Unterlassen

Die Genehmigung, Verordnung und Übereinstimmung als aktive Tatformen bestimmen die Schuldhaftigkeit der juristischen Person wegen des Tuns. Beim Unterlassen ist die Verantwortlichkeit der juristischen Person zweifellos vorhanden, wenn das Organ, sein Mitglied oder ein Leitungsfunktionär pflichtwidrig passiv bleibt und keine gebotene Handlung vornimmt (z. B. Steuerhinterziehung). Umstritten ist aber die Anknüpfungstat als Unterlassen im Falle, wenn der Durchschnittsarbeiter oder der zuständige Vertreter zwar im Interesse der Korporation, aber ohne direkte Genehmigung oder Übereinstimmung die strafbare Tat begeht und die gebotene Handlung nur als die Aufsicht zu sehen ist. Eine Garantenstellung kann in diesem Fall aus dem Gesetz, aber auch aus der Verordnung, Satzung usw. hervorgehen. Für den strafrechtlichen Schuldvorwurf ist aus den rechtsstaatlichen Erwägungen erforderlich, dass die Garantenpflicht aus dem Gesetz, nicht aber aus der inneren Regelung der Korporation hervorgeht. *29

Eine Lösung wäre hier ähnelnd dem deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht der Tatbestand der Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen einzuführen (§ 130 OWiG). Dadurch wären die Zurechnungsprobleme beim Unterlassen aus dem Allgemeinen Teil des StGB in den Besonderen Teil zu übertragen und aufgrund des echten Unterlassungsdelikts zu erledigt.

Der Gesetzgeber scheint hier jedoch einen anderen Weg vorzuziehen. Im Justizministerium ist ein Gesetzesentwurf in der Vorbereitung, in dem die Regelung im Allgemeinen Teil bleiben wird. Zum einen gibt man eine Definition des zuständigen Vertreters. Es geht um die Person, die eine Aufgabe hat, die wirtschaftlichen oder anderen Interessen der juristischen Person aufgrund der entgeltlichen oder unentgeltlichen Geschäft oder in anderer Weise unter der Kontrolle der juristischen Person stehend und die zum Einhalten der Aufgabe gegebene Zuständigkeit benutzend zu verteidigen (ein neuer Abs. 4 des § 14 StGB). *30

Für die Schuld der juristischen Person ist von größerer Bedeutung der im Entwurf vorgeschlagene neue Absatz 5 des § 14 StGB. Danach trägt die juristische Person keine Verantwortlichkeit wegen der Tat des zuständigen Vertreters, wenn sie vor der Tat die für die Vorbeugung der rechtswidrigen und für die Gewährleistung der rechtmäßigen Handlung notwendigen Maßnahmen eingeführt hat. Die Strafbarkeit ist jedoch zu bejahen, wenn trotz den genannten Maßnahmen der zuständige Vertreter einen Grund vorauszusetzen hatte, dass die juristische Person seine Straftat gutheißt.

4. Zusammenfassung

Im nach dem Schuldprinzip wirkenden Strafrecht ist eine Entbindung der Verantwortlichkeit der juristischen Person von dem Verhalten der Personen, die ihren Willen und ihre Tätigkeit bestimmen, unmöglich. Dabei sind die verschiedenen rechtsdogmatischen Figuren im Gebrauch, wie die Verantwortung durch die Einzelperson (Leiter oder Leitungsfunktionär auf der mittleren Ebene), die mittelbare Täterschaft (Durchschnittsarbeiter); eine Anordnung von der Seite des Organmitgliedes oder der anderen leitenden Person oder wenn der Vertreter seine Tat mit der Leitung der Korporation in Einklang gebracht hat. Endlich kann die Verantwortung der juristischen Person sich durch die Unterlassung der Aufsichtspflicht äußern.

 

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pp.154-160