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JURIDICA INTERNATIONAL. LAW REVIEW. UNIVERSITY OF TARTU (1632)

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Media of Law and Legal Science

XVII/2010
ISBN 978-9985-870-27-3

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Juristische Zeitschriften in Russland im 19. Jahrhundert

Die ersten Versuche, juristische Periodika zu den Fragen der Rechtslehre und Rechtspraxis in Russland zu veröffentlichen, wurden um 1800 unternommen.

1790 erscheint die erste juristische Zeitschrift, „Das Theater des Gerichtswesens, oder die Lektüre für Richter und alle Liebhaber der Jurisprudenz, das die bemerkenswerten und merkwürdigen Prozessbeispiele, die Forschungen berühmter Rechtskönner und andere derartige Ereignisse enthält, die bilden, begeistern, zu Tugend anregen und eine nützliche und angenehme Unterhaltung anbieten“ (Театр судоведения, или Чтение для судей и всех любителей юриспруденции, содержащий достопримечательные и любопытные судебные примеры, исследования знаменитых правоискусников и прочия сего рода происшествия, удобные просвещать, трогать, возбуждать к добродетели и составлять полезное и приятное сопровождение). Der Herausgeber Vasilij Novikov hoffte, dass die Veröffentlichung dieser Zeitschrift zum „Anlass zu den wichtigen Erörterungen und geschichtlichen Rechtsforschungen“ wird, die die einheitliche Interpretation und Anwendung der Gesetze und die Widersteuerung gegen die Missbräuche und gegen das Verdrehen ermögliche. *1 Novikov’s Meinung nach müsste der Richter die menschlichen Fehler ausgleichen können, damit Leute künftig weniger Straftaten begehen. So wurde diese Zeitschrift – das chronologisch erste Vorbild russischer juristischer Periodika – zum ersten Versuch in Russland, den Inhalt der Gerichtsverfahren in die Öffentlichkeit zu bringen. Hier wurden sowohl die Darlegungen der russischen und ausländischen „mitgeschwungenen“ Gerichtsfälle als auch ihre Erläuterungen veröffentlicht. Dieses Periodikum entsprach en bloc dem Typ des Almanachs, der kennzeichnend für die Literatur des 18. Jahrhunderts war.

Novikov hegte einen Wunsch, dass „das Lesen dieses Buches das Kartenspiel und andere leere Zeitvertreibe ersetzen“ wird. Neben den Erzählungen über die „berühmten und bemerkenswerten“ Prozesse erschienen in dieser Zeitschrift gelegentlich Auszüge aus ausländischen juristischen Werken über juristische Probleme, die in Russland diskutiert wurden. So wurden die Ideen vom englischen Reformator des Strafvollzugssystems John Howard durch diese Zeitschrift popularisiert, indem Zitate aus seiner Beschreibung der englischen Gefängnisse und seine Vorschläge über ihre Neugestaltung veröffentlicht wurden. Aus der inländischen Gerichtspraxis wurden nur jene Sachen beleuchtet, in denen es erforderlich war, vor der Weisheit der Richter niederzuknien. Auf die Seiten dieser Zeitschrift lobt man die Vorzüge der Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens. Die Zeitschrift glaubte, dass die habsüchtigen Richter bei der öffentlichen Rechtsprechung keine Chance haben, „ihre schändlichen Taten durch die Undurchdringlichkeit der Gerichtshöfe zu verdunkeln“. Die Zeitschrift war mit Gravüren illustriert. Ihre Veröffentlichung wurde beendet, nachdem der 6. Band erschienen war. *2

Nachdem Alexander I. den Thron besteigt, wächst in der russischen Gesellschaft das Interesse für Rechtswissenschaft, Gesetzkunde und für die Abhandlungen von in- und ausländischen Juristen. In Zeitungen und Zeitschriften wurden öfter Rezensionen juristischer Abhandlungen veröffentlicht. In allgemeinen Periodika entstanden besondere Abteilungen, die den Fragen der Rechtslehre und Rechtspolitik gewidmet waren. Gerade in diese Zeit gehören die ersten Versuche, eigentlich juristische Presse ins Leben zu rufen. 1800 und 1801 erschien in Moskau die „Zeitschrift für Rechtswissenschaft … oder der Inhalt der Höchsten Namenserlässe und der Erlässe des Dirigierenden Senats, die im Jahre 1796 (–1797) erschienen sind, mit der Angabe, wann sie stattgefunden, wo sie gedruckt oder welchen Behörden geschickt wurden“ (Журнал правоведения ... или содержание Именных Высочайших и Правительствующего Сената Указов в течение 1796 (–1797) года изданных с показанием, когда они состоялись, где напечатаны, или в какие места посланы), deren Herausgeber A. A. Plavilshikov war. I. M. Naumov hat 1813 ein „Haus der praktischen Rechtswissenschaft“ gegründet, das sowohl die außergerichtlichen Streitschlichtung als auch die Sachverwaltung angeboten hatte. Gleichzeitig wurde die „Zeitschrift des Hauses der praktischen Rechtswissenschaft über den Gegenstand der Rechtsbeistandsausbildung“ (Журнал Дома практического правоведения по предмету образования стряпчества) veröffentlicht. Naumov meinte, öffentliche Erklärung der Rechtssprechungsgrundlagen helfe den Prozess von der Ungerechtigkeit und dem Missbrauch zu befreien. Den Ideen der aufgeklärten Absolutismus treu, die in der „Anweisung“ (Наказ, 1767) von Katharina II. dargelegt wurden, propagierte diese Zeitschrift die Prinzipien der europäischen Rechtsprechung. Außerdem beleuchtete diese Zeitschrift (1813–1814, Th. 1–2) die Tätigkeit des „Hauses“, hier wurden auch verschiedene Probleme juristischer Art besprochen. Von 1817 bis 1819 erschien in Petersburg die „Zeitschrift der Gesetzgebung“, in der die Gesetze offiziell veröffentlicht wurden.

Verschiedene Publikationen des spezifisch juristischen Inhaltes erschienen in den behördlichen Zeitschriften. Als Beispiel sei die „St. Petersburgische Zeitschrift“ genannt, die in St. Petersburg von 1804 bis 1809 vom Ministerium des Innern monatlich herausgegeben wurde. Im ersten Teil dieser Ausgabe wurden die Höchsten Erlässe und Vorträge des Innenministers gedruckt. Im zweiten Teil – „Abhandlungen und Übersetzungen, welche die Verwaltung betreffen“ einschließlich der Übersetzungen der Werke der ausländischen Autoren – wurden gelegentlich die Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung behandelt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die juristischen Materialen systematisch in der „Zeitschrift des Ministeriums des Innern“ (Журнал Министерства внутренних дел,1829–1861), in der „Zeitschrift des Ministeriums für Volksaufklärung“ (Журнале Министерства народного просвещения 1834–1917) und auch in der „Zeitschrift des Ministeriums für staatliches Vermögen“ (Журнал Министерства государственных имуществ,1841–1864) veröffentlicht.

Öffentliche Begeisterung, die mit der Gerichtsreform von 1864 verbunden war, förderte qualitative Veränderungen auf dem Gebiet der juristischen Periodika. Erstens erhöhte sich die Bedeutung der juristischen Rubriken in der allgemeinen Presse. Diese wurden in der Regel von den berühmten Juristen, häufig von den Universitätsprofessoren geleitet. An der Spitze der Abteilung „Juristische Chronik“ der größten südrussischen Zeitung „Noworossijskischer Telegraph“ (Новороссийский телеграф), die in Odessa gedruckt wurde, stand z. B. Prof. F. Leontovich.

Zweitens wurden die juristischen Gesellschaften nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in den Provinzen gegründet, die ihre eigenen Ausgaben hatten. Diese beleuchteten wissenschaftliche Diskussionen und Referate, die den Fragen des Staats und des Rechts gewidmet waren, ebenso wurde die juristische Praxis besprochen. *3 Drittens war es eine Blütezeit für die spezifisch juristischen Periodika.

Die Gerichtsstatuten von 1864 enthielten den Satz, dass entweder beim Fehlen oder bei Widersprüchen oder Unklarheiten der Gesetzesvorschrift notwendig sei, die Gerichtssachen auf Grund des allgemeinen Sinnes der Gesetzgebung zu entscheiden. Das war ein Stimulus für die Studien über das geltende Recht. „Die besonderen Gegebenheiten, die in Russland für die Rechtslehre und Rechtspraxis bestehen, haben für uns zur wichtigen Frage die der Überlegenheit des wissenschaftlichen Wissens über das angewandtes gemacht“, – hat darüber A. N. Stojanov 1879 geschrieben. *4 Das Wachstum der Autorität der wissenschaftlichen Jurisprudenz unter den Juristen-Praktikern als Nebenergebnis der Gerichtsreform gab den fühlbaren Anstoß zum Anstieg der Nachfrage nach der juristischen Literatur. K. K. Dynovskij betonte, dass die Gerichtsstatuten diese  gleichzeitig die Richterselbständigkeit und die Schaffenskraft der Jurisprudenz anerkennend ins Leben gerufen haben. Einen Anspruch auf theoretische Ausbildung der meisten Gerichtsbeamten erhebend, sei Gesetzgeber bewusst, dass solche Ausbildung in der Schulung bestehe, die für die erfolgreiche Ausübung von praktischen Aufgaben notwendig sei, und dass die juristische Ausbildung die beste Garantie der rationellen, methodischen, planmäßigen Arbeit sei, zu deren Grundlagen die festen Leitsätze, aber keine Starrheit, keine Irrfahrt, keine Zufälligkeit gehören müssen. Der Rechtsunterricht und die juristische Literatur haben neue Aufgaben bekommen: die Theorie habe den Zweck, die Anweisungen auszuarbeiten und zur Leiterin der praktischen Jurisprudenz zu werden, dieser eine wissenschaftliche Methode zu übergeben, zu zeigen, auf welche Weise es in der Praxis notwendig ist, die wissenschaftlichen Aufgaben zu stellen und die Wege der Lösungen für diese zu finden. *5

Das war eine Ursache, warum die Anzahl der juristischen Zeitschriften abonnierenden Rechtspraktiker zugenommen hat. 1859 begann die „Zeitschrift des Justizministeriums“ (Журнал Министерства юстиции) zu erscheinen, die im Zeitraum von 1859 bis 1868 in Petersburg regelmäßig herausgegeben wurde. Diese Zeitschrift, wie jede andere behördliche Zeitschrift, bestand aus zwei Teilen. Der Erste, „offizielle Teil“, war ein Sprachrohr des Staates. Hier wurden Gesetze und Verordnungen veröffentlicht. Im zweiten, „nichtamtlichen Teil“, wurden die Artikel über Rechtsfragen, Berichte über die ausländische Gesetzgebung, Gerichtspraxis, und auch die Bibliografie der juristischen Literatur publiziert. Monatlich ist das „Gefängnisinformationsblatt“ (Тюремный вестник, 1893–1917) erschienen.

In den 1860-er Jahren begann man die juristischen Zeitschriften in Moskau, dann auch in Odessa, Nowgorod und Tiflis herauszugeben. In Petersburg erschien die „Zeitschrift für bürgerliches und Handelsrecht“ (Журнал гражданского и торгового права, 1871–1872), die später zur „Zeitschrift für bürgerliches und Strafrecht“ (Журнал гражданского и уголовного права, 1873–1894) umbenannt wurde. 1894 wurde diese Zeitschrift zur „Zeitschrift der Juristischen Gesellschaft an der Sankt-Petersburger Kaiserlichen Universität“ (Журнал Юридического общества при императорском Санкт-Петербургском университете, 1894–1898) umbenannt. Im Jahre 1899 bekam diese Zeitschrift wieder einen neuen Namen: „Rechtsblatt“ (Вестник права, 1899–1906).

1866–1877 wurde auch „Gerichtsinformationsblatt“ (Судебный Вестник) herausgegeben. Das waren die Ausgaben, in denen zahlreiche Artikel über Gesetzgebung, Gerichtsverfassung und Rechtssprechung veröffentlicht wurden. Hier wurden auch die Meinungen und die Diskussionen über die durchzuführende Rechts- und Staatsreformen publiziert.

Von den Zeitschriften, die durch die Hochschulen veröffentlicht wurden, war die bekannteste „Zeitschrift des Demidovschen juristischen Lyzeums“ in Jaroslawl (Временник Демидовского юридического лицея, 1872–1914).

Seit den 1880-er Jahren wurden die zivil- und strafrechtlichen Aufsätze von russischen und ausländischen Autoren in den Zeitschriften „Das Recht“ (Право), „Polizeiinformationsblatt“ (Вестник полиции), „Zeitschrift des Justizministeriums“ (Журнал министерства юстиции), „Juristische Chronik“ (Юридическая летопись), „Zeitschrift für bürgerliches und Strafrecht“ (Журнал гражданского и уголовного права) und in den Zeitungen „Juristische Zeitung“ (Юридическая газета) und „Gerichtszeitung“ (Судебная газета) publiziert. Sie hatten der Verbreitung der fortschrittlichen zivil- und strafrechtlichen Ideen unter den Rechtspraktikern erfolgreich beigetragen.

Die mehrzahl der Zeitschriftentitel können doch einen Forscher desorientieren. In der Wahrheit war es so, dass die juristischen Periodika des Russischen Reichs erhebliche Schwierigkeiten erlebten. Das gleichzeitige Erscheinen einiger juristischer Zeitschriften im Zaren-Russland war vor allem mit dem Enthusiasmus der Professur und einiger Vertreter der Richterschaft verbunden, der von den Gerichtsreformen der 1860-er Jahre den Anstoß genommen hatte. Sie meinten, die juristische Aufklärung durch die Rechtszeitschriften hilft der Praxis, einen Rechtsstaat aufzubauen. Insbesondere die Professoren des Zivilrechts hegten große Hoffnungen auf den Erfolg der russischen juristischen Periodika. Die Ursache lag darin, dass der 10. Band der Gesetzessammlung des Russischen Reichs, der die Zivilgesetzgebung enthielt, zu kasuistisch und lückenreich war. Seine angemessene Interpretation war unmöglich, da die Hinweise auf die historischen Quellen der in der Gesetzessammlung kodifizierten Regelungen falsch waren. In der Wirklichkeit war es so, dass Speranskij, der Verfasser der Gesetzessammlung, das französische Zivilgesetzbuch Code Civil, nach Russland überführen wollte. Durch die Quellenverweise auf die ursprünglich russischen Gesetze wollte er einen Schein der Integration der nationalen Gesetzgebung schaffen. *6 Er meinte, dass diese Gesetzessammlung in der absehbaren Zeit durch ein vollwertiges bürgerliches Gesetzbuch nach dem Vorbild der europäischen Rechtswissenschaft ersetzt wird. Die Übernahme des ausländischen Rechts wurde doch durch die russische Monarchie abgelehnt, und aus diesem Grund sollte das russische Zivilrecht den Weg der unabhängigen nationalen Entwicklung nehmen. Deshalb musste die Rechtspraxis alle Widersprüche selbständig überwinden und die Lücken der Gesetzgebung schließen. Die Rechtswissenschaftler wollten dabei mitwirken und mittels juristischer Zeitschriften die Praxis doktrinell richten und systematisieren. Sie waren der Meinung, dass die Praxis selbst die Anlehnung an die Doktrin suchen wird und dadurch die Bezieher deren Quantität den finanziellen Wohlstand und die Entwicklung der juristischen Zeitschriften sicherstellt und heranzieht.

Die Wirklichkeit hat doch diese Erwartungen getäuscht. Im Jahre 1892 wurden zwei von drei wichtigsten juristischen Zeitschriften des Staates – Moskauer „Juristisches Informationsblatt“ (Юридический Вестник) und Petersburger „Juristische Chronik“ (Юридическая летопись) – aufgelöst. Im Jahre 1892 blieb in Russland nur eine einzige allgemeine juristische Zeitschrift – „Zeitschrift für bürgerliches und Strafrecht“, ohne Berücksichtigung der amtlichen Veröffentlichungen, die von Zeit zu Zeit einige juristische Artikel publizierten, und auch der Zeitschriften, die von den Hochschulen veröffentlicht wurden und nicht zu Abonnementsausgaben gehörten.

„Juristisches Informationsblatt“ (insgesamt 18 Bde.) wurde zuerst in Petersburg in den Jahren 1860/1861–1864 monatlich veröffentlicht. Der 6. Band war der Letzte. Die letzten Bände wurden mit Verspätung veröffentlicht: Bde. 4–5 im Jahre 1865, Bd. 6 im Jahre 1866. Der Herausgeber war N. V. Kalatschev. Im ersten Erscheinungsjahr  trat diese Zeitschrift als Anhang vom „Archiv der Russland betreffenden historischen und praktischen Angaben“ (Архив исторических и практических сведений, относящихся до России, 1859) auf, nachher wurde sie selbständig veröffentlicht. Die Beiträge, die in dieser Zeitschrift erschienen, waren den Problemen der zeitgenössischen russischen Gesetzgebung und Gerichtspraxis, auch den konkreten Fragen der kommenden Gerichtsreform gewidmet. Diese Zeitschrift hat auch die Vorschläge bezüglich der Verbesserung des Strafrechts und des Gefängnissystems in die Diskussion gebracht. Hier wurden auch Schriften zur russischen Rechtsdogmatik und Rechtsgeschichte sowie zur Gesetzgebung und Gerichtspraxis im Westeuropa veröffentlicht.

Später wurde eine Zeitschrift mit demselben Namen monatlich veröffentlicht. Diese monatliche Zeitschrift der Moskau Juristischen Gesellschaft wurde in Moskau in den Jahren 1867–1892 (mit den Pausen von Juli bis Dezember 1868 und von Januar 1870 bis März 1871) ohne Vorzensur veröffentlicht. Die Herausgeber waren N. V. Kalatschev, M. M. Kovalevskij, S. A. Muromtsev u.a. Diese Zeitschrift hat die Vertreter der liberalen Professur der Moskauer Universität vereinigt. Hier wurden Aufsätze zu den Fragen des Rechts, der Statistik, und der örtlichen Selbstverwaltung publiziert. Die Mitarbeiter des „Juristischen Informationsblatts“ (N. I. Sieber, A. I. Chuprov, N. A. Kablukov u.a.) haben die gemäßigten politischen Reformen verfochten. Seit der Mitte der 1870er Jahre erweiterte das „Juristische Informationsblatt“ seinen Problemkreis und veröffentlichte systematisch Schriften zu den Fragen der Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, der politischen Ökonomie, der Finanzwissenschaft und des Völkerrechts.

„Juristisches Informationsblatt“ propagierte liberale Reformen des Alexander II. In den Fragen des Zivilrechts und der Rechtsphilosophie nahm es die idealistische Stellung ein. Außer den Schriften von russischen Autoren wurden die Übersetzungen der Werke von europäischen Kriminalisten – Vertretern der idealistischen anthropologischen Theorie (Cesare Lombroso, Jules Ferry) – ebenfalls in dieser Zeitschrift in den 1880er Jahren veröffentlicht.

In den 1880er Jahren zeigte diese Zeitschrift ein Interesse für die Wirtschaftstheorie von Karl Marx. Im Jahre 1888 ist hier (Bd. 10) der Brief von Karl Marx an die Redaktion der Zeitung „Heimatskizzen“ (Отечественные записки) zum Artikel von N. K. Mikhailovskij „Karl Marx vor dem Gericht des Herrn Zhukovskij“ (Карл Маркс перед судом г. Жуковского) erschienen. Die Zeitschrift war doch weit vom Marxismus geblieben. Sie beschränkte sich auf die Verbreitung der Idee der friedlichen Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft durch die Unterstützung der Vereine und Genossenschaften. Dieser Zeitschrift war eine starke Richtung zur Wirtschaftsstatistik charakteristisch. Die statistischen Materialien des „Juristischen Informationsblatts“ hat Vladimir Lenin benutzt, während er das Buch „Развитие капитализма в России“ (1886–1889) *7 geschrieben hat.

Die finanzielle Lage der Zeitschrift war relativ günstig. Das „Juristische Informationsblatt“ hat die Finanzhilfe von Mäzenen und der Moskauer Juristischer Gesellschaft bekommen. So hatte es von 800 bis 1100 Bezieher, die hauptsächlich Mitglieder dieser Gesellschaft waren. Die Herausgabe dieser Zeitschrift wurde auf Beschluss der Moskauer Juristischen Gesellschaft im Jahre 1892 eingestellt. Das war eine Reaktion auf die Einführung der Vorzensur dieser Zeitschrift.

Die „Juristische Chronik“ war eine monatliche Zeitschrift, die in Petersburg im Zeitraum 1890–1892 von Professor N. D. Sergeevskij herausgegeben wurde. Die wichtigen Themen waren mit den Fragen des russischen Rechts verbunden. Hier waren folgende Teile: Gesetzgebungs- und Gerichtschronik, wissenschaftlich-literarischer Teil, Bibliografie. An der Zeitschrift waren berühmte russische Rechtswissenschaftler tätig: N. F. Derjuzhinskij, A. A. Isaev, A. F. Koni, N. M. Korkunov, N. V. Muravjev, V. K. Slutschevskij, N. S.  Tagantsev u.a. Nach den Aussagen von Sergeevskij bildeten die finanziellen Schwierigkeiten den Hauptgrund der Schließung dieser Zeitschrift.

Die „Zeitschrift für bürgerliches und Strafrecht“ erschien bis 1874 als „Zeitschrift für bürgerliches und Handelsrecht“. Die Zeitschrift wurde in Petersburg seit 1871 herausgegeben. Zuerst waren es 6 Bände pro Jahr, dann 10 Bände. Die Herausgeber waren zuerst A. Knirim und N. Tur, später A. Knirim und N. Tagantsev, noch später die Juristische Gesellschaft von St. Petersburg und persönlich V. M. Volodimirov. Im Jahre 1894 wurde sie zur „Zeitschrift der Juristischen Gesellschaft an der Kaiserlichen Universität zu St. Petersburg“ (Журнал Юридического общества при имп. СПб. Университете) umbenannt. Professor V. N. Latkin ist zum neuen Herausgeber geworden. Im Zeitraum 1899–1906 erschien diese Zeitschrift unter dem Namen „Rechtsblatt“ (Вестник права). Die Zeitschrift hatte folgende Teile: Verordnungen und Erlasse der Regierung, allerhöchste Erlasse des Justizministeriums, (russische und ausländische) juristische Chronik, Kritiken und Bibliografien, Gerichtsteil, Teil für Zivilrecht u.a. Hier wurden auch Beiträge zu den verschiedenen Fragen der russischen und ausländischen Rechtstheorie und -praxis veröffentlicht. Obwohl diese Zeitschrift verschiedene Namen hatte, ist sie doch immer ein Sprachrohr der juristischen Öffentlichkeit der Reichshauptstadt Sankt-Petersburg geblieben.

Eine eigene Frage besteht darin, warum die juristischen Zeitschriften aufgelöst wurden. Die Hauptrolle spielten die finanziellen Schwierigkeiten. Das Beispiel der „Juristischen Chronik“ ist dabei kennzeichnend. Ursprünglich hatte die Redaktion dieser Zeitschrift ein Ziel gesetzt, die Kosten für die Zeitschrift zu decken. Dazu brauchte sie ca. 1200 Bezieher. Die Redaktion hat damit gerechnet, dass etwa 30 000 Richter und andere Gerichtsbeamten, auch zahlreiche Anwälte und Beamten und der günstige Preis (5 Rubel pro Jahr) bei der guten Qualität von Publikationen das Leben der Zeitschrift ohne Sponsoren ermöglichen können. Aber im Laufe von drei Jahren hat die Zeitschrift weniger als 700 Bezieher gehabt. Das hatte einen Verlust in Höhe von etwa 6500 Rubeln zur Folge. *8

Die Qualität der Materialen und die Werbung waren dabei aber sehr gut. Die Redaktion der „Zeitschrift für bürgerliches und Strafrecht“ hat betont, dass alle russischen juristischen Zeitschriften nur dank der Unterstützung der Staatskasse, der juristischen Gesellschaften oder der Moskauer Privatpersonenvereinen existierten, da alle drei Zeitschriften insgesamt weniger als 2500 Bezieher hatten. *9 Dabei gab es unter den Abonnenten auch Ausländer. Die Redaktion der „Zeitschrift für bürgerliches Strafrecht“ betonte wiederum, dass im kleinen Bulgarien ein dritte nationale juristische Zeitschrift im Jahre 1892, nach Auflösung der zwei von den drei juristischen Zeitschriften in Russland, entstand. Außerdem ist es zu bemerken, dass die bulgarischen Bezieher alle drei allgemeinen juristischen Zeitschriften im größeren Umfang abonnierten, als einige russische Provinzen, deren Bevölkerung und Territorium diejenigen von Bulgarien überschritten. In Bulgarien wurden auch mehrere ausländische Zeitschriften abonniert, in Russland machten es praktisch nur einzelne russische Hochschulen. *10 So, z. B. hatte die „Zeitschrift für bürgerliches und Strafrecht“ im Jahre 1877 nur 775 Bezieher. Dabei waren nur zwei Bezieher in der Novgorod-Provinz – in Tichwin und in Kirillow, wo sie wahrscheinlich vom gebildeten Friedensrichter oder Untersuchungsrichter abonniert wurden. Kein Gericht von drei Bezirksgerichten hat weder diese noch andere Zeitschriften abonniert. *11 Das Fehlen der Bezieher wurde durch das fehlende Interesse am Lesen der juristischen Schriften und der Monographien bedingt. Es hatte mehrere Gründe.

Der erste Grund lag daran, dass es unmöglich war, die Fehler der Gesetzessammlung durch die Rechtsdoktrin praktisch zu ersetzen. Einer der anonymen Autoren der „Zeitschrift für bürgerliches und Strafrecht“, der sich als „P.S.“ bezeichnete, schrieb: „In der Gesetzessammlung selbst gibt es keine allgemeinen Rechtsbestimmungen, und es ist unmöglich, diese Bestimmungen aus der Rechtswissenschaft zu entlehnen und diese genauso wie die Regelungen der Gesetze anzuwenden, da es meistens Unsinn verursachen kann.“ *12

Der zweite Grund lag an der Qualität der in den Zeitschriften veröffentlichten Publikationen, deren Themen der aktuellen Rechtspraxis nicht entsprachen. Dieses Argument verwendete man als Antwort auf die Trägheits-, Ignoranz- und Obskurantismusklagen an die potentiellen praktizierenden Leser von den Autoren juristischer Zeitschriften. Diese Remonstrationen waren natürlich teilweise berechtigt. *13

Die Rechtswissenschaftler hatten im Grunde genommen doch Recht – die meisten Richter, Staatsanwälte und Anwälte waren nicht genug juristisch ausgebildet, deshalb konnten sie die wissenschaftliche Rechtsliteratur mit dem Nutzen nicht lesen. Obwohl die Urheber der Gerichtsreform der Meinung waren, dass die juristische Ausbildung notwendige Bedingung für die erwähnten Posten wird, war die Realität sehr weit vom Ideal. Z.B. im Stadtgericht von Twer gab es im Jahre 1882 (d.h. etwa 20 Jahre nach dem Beginn der Gerichtsreformen!) keinen Richter mit der juristischen Ausbildung. Von 6 Richtern dieses Gerichtes hatte nur einer ein provinziales Gymnasium absolviert, der Zweite ein Priesterseminar, der Dritte eine Artillerieschule, der Vierte eine Auditorschule, der Fünfte eine Agrarschule. Der Sechste hat die „Hausausbildung“ bekommen. *14 Selbst im Dirigierenden Senat, im höchsten Gerichtsorgan des Russischen Reichs, gab es einige Senatoren, die keine juristische Ausbildung hatten!

In Ausnahmefällen war die fehlende juristische Ausbildung kein Hindernis für die erfolgreiche praktische und theoretische Jurisprudenz. So wurde Isatschenko, der von Ausbildung her ein Mathematiker war, zum einen der größten Experten im Zivilverfahren des vorrevolutionären Russlands. *15 In der Regel hatten die Personen auf den Posten, welche eine juristische Ausbildung forderten, keinen Ausbildungswillen. Einer der Vertreter der besten Gruppe der Richter schrieb dazu (unter dem Namen Svoj – der Eigene): „... für uns ist es genug, wenn ein Richter „ein guter Mensch“ ist, es sei denn, er hat keine Ausbildung, keine Erfahrung, die er für seinen Posten braucht. Wir sind bereit, das Gericht, seine Unordnung, ungerechte Urteile zu beklagen, aber nur in Ausnahmefällen werden die notorische Ignoranz, die offensichtliche Unfähigkeit eines jeweiligen Richters gerügt… Der Manche beschäftigt sich speziell mit der Archäologie, Botanik, chemischen Versuchen, Landwirtschaft, Geschäftssachen, kriecht aber in den Richterstuhl, den er ohne Gehalt und Hochachtung nie anschauen würde.“ *16

In den ersten Jahren nach der Gerichtsreform hatte die fragwürdige Ernennung von Richtern ohne juristische Ausbildung objektive Gründe. Die Demiurgen der Gerichtsreform, die versprachen, dass die Anzahl der Absolventen der juristischen Fakultäten für die Bekleidung der Richterposten in den neuen Gerichten genügt, haben nicht berücksichtigt, dass nicht alle Juristen Richter werden. Sie haben einfach die Anzahl der Diplomjuristen mit der Anzahl von neuen Vakanzen mechanisch verglichen. In der Wirklichkeit war es ein großes Problem nach der Reform, alle freien Stellen zu bekleiden. *17

Andererseits, auch wenn die Anzahl der Juristen im Reich zunahm, wurden die Gerichtsposten bestenfalls durch die ehemaligen Staatsanwälte bekleidet, die sich in den Fragen des Zivilrechts nicht auskannten. *18 In vielen ungünstigen Fällen sind die Gerichtsbeamten der Vorreformgerichte, die in der Regel Militärpersonen a.D. oder ehemalige Beamten waren, ohne juristische Ausbildung zu den Richtern geworden. Dabei entstand eine paradoxe Situation, indem die Absolventen juristischer Fakultäten etwa 10 Jahre die Stellung des Richters als Bewerber erwarteten, weil die Personen ohne juristische Ausbildung diese Posten bekleideten. *19 Die Regierung kümmerte sich nicht um diese Umstände und um die fragwürdige Stellung der Universitätsabsolventen. Im Gerichtssystem herrschten außerdem der Protektionismus und die Vorabstimmung der Richterkandidaten (sogar Friedensrichter) mit der öffentlichen Administration.

Die ungebildeten Richter, die auf diese Weise ihre Posten bekommen hatten, verstanden die Rechtswissenschaft nicht und verachteten sie. Deshalb lasen sie auch keine juristischen Periodika. Für eine einzige Anleitung zum Verstehen des Gesetzes hielten sie die Urteile der höchsten Gerichtsinstanz – der Kassationsdepartements des Dirigierenden Senats. Als Folge davon wurde das russische Recht dieser Zeit größtenteils zum Präjudizienrecht. Die Verweise auf die Senatsentscheidungen wurden zum Hauptargument der Parteivorträge. Da die Senatspraxis auch sehr widersprechend und inkonsequent war, hat derjenige den Prozess gewonnen, der seine Behauptung auf den Hinweis der jüngeren Entscheidung unterstützte. *20 Demgemäß war die englische Doktrin von stare decisis in Russland dieser Zeit latent in Kraft. *21 Die Versuche, die Verweise auf die Rechtsdoktrin oder auf die Meinungen von Rechtswissenschaftlern im Gericht anzuführen, wurden von Richtern abgelehnt. *22 Aus diesem Grund hatte die juristische Öffentlichkeit kein Interesse an die Studien der Rechtsdoktrin. *23

Im Endeffekt hat die Lage der juristischen Ausbildung der Richter die Besorgnis der Reichsregierung erregt. Der Erlass des Staatsrats vom 24. Dezember 1891, der im Jahre 1892 veröffentlicht wurde, änderte die Gerichtsstatute des Alexander II. bezüglich der Richterkandidaten. Dieser Entscheidung lag das Streben zugrunde, die Berufsausbildung der jungen Juristen auf solche Weise zu organisieren, damit sie selbständig und unabhängig die Gerichtstätigkeit ausüben könnten. *24 Es wurde entschieden, den Gerichtsvorsitzenden und den Staatsanwaltschaftsbeamten zu verpflichten, die Berufsausbildung der Kandidaten zu betreuen. Diese hatten sowohl die Gerichtspraxis als auch moderne Ideen der Rechtsdoktrin kennen zu lernen. Es war geboten, in den Gerichten die Bibliotheken zu errichten, in denen die russischen und ausländischen Monographien, Zeitschriften und Periodika, unter anderem „Zeitschrift für bürgerliches und Strafrecht“, „Juristisches Informationsblatt“ und „Juristische Chronik“ zu beziehen waren. Die letzten zwei Zeitschriften wurden doch noch im selben Jahre aufgelöst. Bei der Mitwirkung der Regierung und bei der sukzessiven Steigerung des Bildungsniveaus im Russischen Reich ist die Situation am Anfang des 20. Jahrhunderts besser geworden.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden folgende Zeitschriften veröffentlicht: „Informationsblatt des Rechts und des Notariates“ (Вестник права и нотариата (1908–1917; seit 1913 zum „Informationsblatt des Rechts“ (Вестник права) umbenannt), „Die Rechtsfragen“ (Вопросы права, 1910–1912), populäre Wochenschrift „Leben und Gericht“ (Жизнь и суд, 1911–1917), „Informationsblatt des Bürgerrechts“ (Вестник гражданского права, 1913–1917) u.a. Im Zeitraum 1898–1917 ist auch juristische Zeitung „Das Recht“ (Право) erschienen.

Es ist auch das „Informationsblatt des bürgerlichen Rechts“ (Вестник гражданского права) zu nennen, die in Petrograd von M. M. Vinaver „unter der unmittelbaren Mitwirkung“ von Professoren D. D. Grimm, V. B. Eljaschewitsch, A. E. Nolde, M. J. Pergament und I. A. Pokrowski herausgegeben wurde. Diese Zeitschrift wurde im Laufe von etwa fünf Jahren herausgegeben – vom Januar 1913 bis Ende des Frühlings 1917. Dieses relativ kurze Leben des Informationsblattes war doch genug, um zu einer der maßgebendsten russischen juristischen Zeitschrift zu werden. Dieser Erfolg wurde größtenteils dadurch bedingt, dass der Herausgeber vom Anfang an mit bekannten Zivilisten, Prozessualisten und Spezialisten im Bereich des internationalen Privatrechts zusammengearbeitet hat und dass das professionelle Niveau der russischen Juristen und das Interesse der juristischen Öffentlichkeit an der Rechtswissenschaft in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts zugenommen hat.

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pp.45-51